Nachfolgend ein Beitrag vom 26.4.2016 von Schmid, jurisPR-FamR 9/2016 Anm. 1

Leitsätze

1. Ein Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG setzt u.a. voraus, dass der begünstigte Erwerber nach dem Erbfall die in einem bebauten Grundstück i.S.d. § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG befindliche Wohnung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmt. Dazu muss der Erwerber innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung der Wohnung fassen und durch den Einzug in die Wohnung tatsächlich umsetzen.
2. Erwirbt ein Miterbe im Rahmen der Teilung des Nachlasses das Alleineigentum an einem Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG oder an einem zu Wohnzwecken vermieteten Grundstück i.S.d. § 13c Abs. 3 ErbStG, erhöht sich sein begünstigtes Vermögen unabhängig davon, ob die Vereinbarung über die Erbauseinandersetzung zeitnah, d.h. innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt.

A. Problemstellung

Der 2. Senat des BFH hat sich im vorliegenden Fall mit der Frage beschäftigt, ob eine Erbauseinandersetzung „zeitnah“, d.h. innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall, erfolgen muss, um das Steuerprivileg für ein Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG und für die Vermietung i.S.d. § 13c Abs. 1, Abs. 3 ErbStG zu erhalten. Daneben nimmt er zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „unverzüglich“ beim Selbstbezug im Rahmen des Familienheimprivilegs Stellung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger (S) und seine Schwester (T) hatten ihren verwitweten Vater (V) am 24.12.2010 je zur Hälfte beerbt. Zum Nachlass gehörte u.a. ein Zweifamilienhaus, in dem eine Wohnung von V und T bis zum Tod des V gemeinsam und danach von T alleine bewohnt wurde. Ende 2011 zog S in diese Wohnung ein. Die andere Wohnung in dem Gebäude war fremdvermietet. Mit notariellem Vertrag vom 23.03.2012 haben die Geschwister die Erbengemeinschaft dahingehend aufgelöst, dass S das gesamte Zweifamilienhaus (mithin beide Wohnungen) übertragen wurde, während T geringfügig höherwertige weitere Nachlassgrundstücke erhielt.
Das Finanzamt hat bei S beide Steuerprivilegien, nämlich § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für die von S selbst genutzte Wohnung und § 13c ErbStG für die fremdvermietete Wohnung – entsprechend dessen hälftigen Anteils als Miterbe – (nur) zur Hälfte, anerkannt. Dabei war das Finanzamt im Rahmen des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG trotz des Einzugs erst nach etwa einem Jahr (Ende 2011) zugunsten des S davon ausgegangen, dass dieser die Wohnung unverzüglich nach dem Erwerb zur Selbstnutzung bestimmt hatte.
Die dem S von T im Rahmen der Erbauseinandersetzung übertragenen beiden Hälften hatte das Finanzamt allerdings nicht als privilegiert anerkannt, da die Übertragung nicht zeitnah nach dem Erbfall erfolgt sei. Die Sechsmonatsfrist ergebe sich aus R E 13.4 V S. 11 der Erbschaftsteuerrichtlinien 2011, woran die Finanzverwaltung gebunden sei. Im Klageverfahren hiergegen gab das Finanzgericht (FG Hannover, Urt. v. 26.09.2013 – 3 K 525/12 – EFG 2013, 2023) dem Kläger Recht.
Die Revision des Finanzamts blieb erfolglos: Nach Ansicht des BFH sind die beiden Steuerprivilegien (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG Familienheim und § 13c ErbStG zu Wohnzwecken vermietete Immobilie) auch für die von T dem S übertragene Haushälfte (also für beide Wohnungen insgesamt) zu gewähren.
Es sei unmaßgeblich, dass die Erbauseinandersetzung erst 15 Monate nach dem Erbfall erfolgt sei. Für den Begünstigungstransfer i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 4 ErbStG sei eine zeitliche Nähe zum Erbfall („zeitnah“) im Gesetz nicht vorgeschrieben. Entgegen H E 13.4 „Freie Erbauseinandersetzung“ ErbStR 2011 sei die Begünstigung auch dann zu gewähren, wenn die Auseinandersetzungsvereinbarung nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall geschlossen werde. Auch für den Wertabschlag nach § 13c Abs. 1, Abs. 3 ErbStG müsse dies gelten.
Ein Begünstigungstransfer von Miterben sei auch mit zwei jeweils vermieteten Grundstücken möglich. Dann werde jeder Miterbe so behandelt, als habe er von vorneherein das privilegierte Grundstück allein geerbt.
Wie bereits in mehreren Entscheidungen vorher, gebe es erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Eine Vorlage an das BVerfG sei jedoch nicht mehr möglich, da dieses die Weitergeltung des ErbStG bis zu einer Neuregelung bis spätestens 30.07.2016 angeordnet habe (BVerfG, Beschl. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12 – BStBl II 2015, 50).

C. Kontext der Entscheidung

Der BFH befasst sich in dem Urteil ferner ausführlich und klarstellend mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Wohnung i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG. „unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist“. Dabei übernimmt der BFH für den Begriff „unverzüglich“ die Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Der Erwerber muss demnach zur Erlangung des Steuerprivilegs für ein Familienheim innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung des Hauses fassen und durch den Einzug tatsächlich umsetzen.
Dabei errichtet der BFH einen gut handhabbaren Zeitrahmen, der sich an der Sechsmonatsfrist orientiert:
1. Zieht der Erwerber innerhalb von sechs Monaten in die Wohnung ein, besteht eine Vermutung, dass eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung als Familienheim vorliegt.
2. Erfolgt der Einzug nach Ablauf von sechs Monaten, kann ebenfalls eine noch unverzügliche Selbstnutzung vorliegen. Der Erwerber kann sich hier aber nicht mehr auf die vorgenannte Vermutung berufen. Er muss in diesem Fall darlegen und glaubhaft machen,
zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entschlossen hat,
aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und
warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat, also kein schuldhaftes Zögern vorliegt (als Beispiel für solche Gründe führt der BFH u.a. an, dass sich der Einzug wegen einer Erbauseinandersetzung – nicht aber die Erbauseinandersetzung selbst – über den Sechsmonatszeitraum verzögert hat).
3. Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzugs führen (wie z.B. eine Renovierung der Wohnung), sind nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten.
Dabei gilt der Grundsatz: Je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und dem tatsächlichen Einzug des Erwerbers in die Wohnung ist, umso höher sind die Anforderungen an die Darlegung des Erwerbers und seine Gründe für die verzögerte Nutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke zu stellen.

D. Auswirkungen für die Praxis

In der Beratungspraxis im Rahmen einer Erbauseinandersetzung ist deshalb vorrangig die Frage zu klären, ob die Miterben mit der Übertragung ihrer Anteile am Familienheim und den Bezug des Familienheims durch einen Miterben grundsätzlich einverstanden sind. Dieser Bezug ist dann unverzüglich durchzuführen. Die endgültige Übertragung muss nicht mehr zur Wahrung der Sechsmonatsfrist notfalls durch eine Teilerbauseinandersetzung erfolgen. Es kann vielmehr die endgültige Auseinandersetzung grundsätzlich abgewartet werden, um das Steuerprivileg zu erhalten.
Zu beachten ist ferner, dass der Erwerber im vorliegenden Fall das Privileg bezüglich des übertragenen Anteils insgesamt in Anspruch nehmen konnte, weil er aus dem Erbe gleichwertiges Vermögen zur Verfügung hatte, das er als Gegenleistung für den Anteil am Familienheim übertragen konnte, § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 4 ErbStG. Wäre dies nicht der Fall gewesen und hätte der Erwerber die Miterbin z.B. vollständig aus eigenen Mitteln ausbezahlt, wäre die von der Schwester erhaltene Haushälfte nicht privilegiert gewesen.