Nachfolgend ein Beitrag vom 12.2.2019 von Birkenheier, jurisPR-FamR 3/2019 Anm. 2

Orientierungssätze

1. Die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft kann zwar zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen genommen werden. Jedoch müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben.
2. Das Pflichtteilsrecht ist als tradiertes Kernelement des deutschen Erbrechts Bestandteil des institutionell verbürgten Gehalts der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Zudem sind die strukturprägenden Merkmale der Nachlassteilhabe von Kindern Ausdruck einer Familiensolidarität, die in grundsätzlich unauflösbarer Weise zwischen dem Erblasser und seinen Kindern besteht und die ihrerseits von Art. 6 Abs. 1 GG – und bei nichtehelichen Kindern zudem von Art. 6 Abs. 5 GG – geschützt wird.
3. § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB, wonach die Zehn-Jahres-Frist für die Berücksichtigung der Schenkung im Rahmen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs im Falle einer Ehegattenschenkung nicht vor Auflösung der Ehe beginnt, verstößt weder gegen Art. 6 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
3a. § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB bewirkt keine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Schenkungen an Ehegatten und Schenkungen an Dritte, insbesondere nichteheliche Lebensgefährten und Kinder, im Rahmen der Pflichtteilsergänzung. Die wirtschaftliche Verflechtung der Ehegatten und die aus der Ehe resultierenden gegenseitigen Ansprüche können zur Grundlage der Ungleichbehandlung von Dritt- und Ehegattenschenkungen gemacht werden.
3b. § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB sorgt überdies für einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen dem hinterbliebenen Ehegatten und den sonstigen der Familie des Erblassers zugehörigen Pflichtteilsberechtigten und hält sich auch insoweit innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums.

A. Problemstellung

Nach § 2325 Abs. 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 BGB können Schenkungen des Erblassers in den letzten zehn Jahren seines Lebens einen Pflichtteilsergänzungsanspruch begründen. Eine Ausnahme hiervon gilt nach § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB für Schenkungen des Erblassers an seinen Ehegatten: Für diese beginnt die Zehnjahresfrist nicht vor Auflösung der Ehe. Wird die Ehe durch den Tod des Erblassers aufgelöst, bedeutet dies, dass alle Schenkungen des Erblassers an den Ehegatten, die während der gesamten Dauer der gemeinsamen Ehe erfolgt sind, für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs mit ihrem indexierten Wert zu berücksichtigen sind, also auch dann, wenn sie länger als zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers stattgefunden haben, und zwar ohne dass die Abschmelzungsregelung des § 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB Anwendung findet. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Ausnahmeregelung ist wegen der unterschiedlichen Behandlung von Schenkungen an den Ehegatten gegenüber Schenkungen an nichteheliche (nicht eingetragene) Lebenspartner oder sonstige Dritte in der Literatur umstritten, obwohl das BVerfG bereits mit Nichtannahmebeschluss vom 06.04.1990 (1 BvR 171/90 – NJW 1991, 217) die Verfassungsmäßigkeit bejaht hat.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Erblasser hatte seine Ehefrau aus zweiter Ehe und seinen Sohn aus dieser Ehe testamentarisch zu seinen Erben eingesetzt. Mehr als zehn Jahre vor seinem Tod hatte er seiner zweiten Ehefrau ein mit einem Mietshaus bebautes Grundstück geschenkt. Im Ausgangsverfahren wurden beide Erben auf Klage eines Sohnes des Erblassers aus erster Ehe in Anwendung des § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB wegen möglicher Pflichtteilsergänzungsansprüche zur Auskunft über wertbildende Faktoren des verschenkten Grundstücks verurteilt. Dabei vertraten die Gerichte die Auffassung, die Vorschrift sei mit der Verfassung vereinbar. Hiergegen machten die Erben mit ihrer Verfassungsbeschwerde geltend, die Vorschrift verletze den Schutz von Ehe und Familie, weil mehr als zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers vorgenommene Schenkungen nur dann für den Pflichtteilsergänzungsanspruch herangezogen würden, wenn der Empfänger der Ehegatte des Erblassers sei. Die Witwe sei hierdurch in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1 GG, der Sohn aus zweiter Ehe in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Nach Auffassung des BVerfG ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB verstoße weder gegen Art. 6 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stelle, enthalte einen besonderen Gleichheitssatz. Für einen Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG verbleibe daneben kein Raum, wenn nicht eine stärkere sachliche Beziehung zum allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestehe. Art. 6 Abs. 1 GG verbiete die Diskriminierung von Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften und insbesondere die Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen. Eine belastende Differenzierung zulasten Verheirateter setze daher voraus, dass sich hierfür aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben. Dabei sei es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, generalisierend-typisierende Regelungen zu treffen, sofern er den nach Art. 6 Abs. 1 GG geschuldeten besonderen Schutz beachte. Auch bei Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG, soweit dafür neben Art. 6 Abs. 1 GG für den konkreten Fall überhaupt noch Raum sei, sei die Ungleichbehandlung des Ehegatten zumindest gerechtfertigt.
§ 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB bewirke nämlich im Rahmen der Pflichtteilsergänzung keine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Schenkungen an Ehegatten und Schenkungen an Dritte, insbesondere nichteheliche Lebensgefährten und Kinder, auch soweit der beschenkte Ehegatte selbst dem Pflichtteilsergänzungsanspruch als Schuldner ausgesetzt sei. Der Gesetzgeber habe im Rahmen seines Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums davon ausgehen dürfen, dass typischerweise bei einer Schenkung an nichteheliche Lebensgefährten und Kinder keine gleichermaßen dauerhafte Erwartung der Weiternutzungsmöglichkeit bestehe wie bei Ehegatten. Die wirtschaftliche Verflechtung der Ehegatten und die aus der Ehe resultierenden gegenseitigen Ansprüche könnten zur Grundlage der Ungleichbehandlung von Dritt- und Ehegattenschenkungen gemacht werden. Zum einen partizipiere der Ehegatte, der durch Schenkung oder unbenannte Zuwendung Vermögenspositionen übertrage, im Rahmen der gegenseitigen Unterhaltsverpflichtung in der Regel weiterhin an den Nutzungen des Vermögens. Die ehelichen Lebensverhältnisse, die Maßstab der Unterhaltspflicht seien und an denen Ehegatten grundsätzlich hälftig partizipieren, würden durch Vermögensverschiebung zwischen den Ehegatten nicht geändert. Eine vergleichbare gegenseitige Unterhaltsverpflichtung bestehe zu Verwandten und nicht miteinander verheirateten Eltern nicht. Zum anderen bestehe jedenfalls bei gesetzlichem Güterstand der Zugewinngemeinschaft eine wirtschaftliche Verflechtung der Vermögen der Ehegatten durch den Zugewinnausgleich.
Da im Wege der Schenkung oder unbenannte Zuwendung übertragenes Vermögen dem Zugewinnausgleich unterfalle (vgl. BGH, Urt. v. 20.05.1987 – IVb ZR 62/86 – BGHZ 101, 65, 69 f.), sei die übertragene Vermögensposition dem Vermögen des übertragenden Ehegatten wirtschaftlich nicht endgültig entzogen. Außerdem sorge § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB für einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen dem hinterbliebenen Ehegatten und den sonstigen Pflichtteilsberechtigten und halte sich auch insoweit innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums. Das BVerfG verweist hierzu auf seinen Beschluss vom 19.04.2005 (1 BvR 1644/00 – BVerfGE 112, 332), mit dem das Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers als durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geschützte grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass und Vermögen festgestellt wurde. Von einer weiteren Begründung hat das BVerfG gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

C. Kontext der Entscheidung

Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG seinen Kammerbeschluss vom 06.04.1990 (1 BvR 171/90 – NJW 1991, 217), wenn auch mit teilweise modifizierter Begründung, bestätigt. Ein Verstoß des § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG wird erneut ausdrücklich verneint, obwohl sich seit der Erbrechtsreform 2010 in der Literatur die Stimmen gemehrt haben, die die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift mit einer seit der Reform bestehenden doppelten Benachteiligung des Ehegatten begründen, weil nicht nur die Zehnjahresfrist, sondern auch die neue Pro-rata-Regelung (§ 2325 Abs. 3 Satz 1 BGB) bei Schenkungen an den Ehegatten nicht zur Anwendung kommen (Horn in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 2325 Rn. 121; ebenso bereits G. Müller in: Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2014, § 2325 Rn. 112; verfassungsrechtliche Bedenken auch bei Lange in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2017, § 2325 Rn. 69; zweifelnd auch Schindler in: BeckOGK, § 2325 Rn. 294). Auch unter diesem Aspekt, der dem BVerfG selbstverständlich bekannt war, besteht jedoch nach der Entscheidung keine Verfassungswidrigkeit.
Nicht ausdrücklich befasst hat sich das BVerfG mit der in einem Teil der Literatur vertretenen Ansicht, die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BGB beginne zu laufen, wenn der beschenkte Ehegatte den Schenkungsgegenstand an einen Dritten weiterschenke, weil dann auch die ursprünglich fortbestehende Nutzungs- und Zugriffsmöglichkeit des Erblassers entfalle; deshalb sei § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB im Wege teleologischer Reduktion auf Fälle zu beschränken, in denen der beschenkte Ehegatte beim Erbfall noch im Besitz des Schenkungsgegenstandes ist (G. Müller in: Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, § 11 Rn. 62; Weidlich in: Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 2325 Rn. 29; Horn in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, § 2325 Rn. 122; Herrler in: HK-Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2017, Anh. 2 Rn. 66 f.; Weber, ZEV 2017, 117, 121).
Dem steht jedoch bereits der Wortlaut der Norm entgegen, aus dem sich ergibt, dass das weitere Schicksal des Schenkungsgegenstandes nach der Schenkung des Erblassers für den Pflichtteilsergänzungsanspruch irrelevant ist. Dagegen spricht aber auch, dass der vorliegende Nichtannahmebeschluss vom 26.11.2018 nicht nur mit der wirtschaftlichen Verflechtung der Ehegatten durch Unterhaltsrecht und Güterrecht und der fortbestehenden Möglichkeit des schenkenden Erblassers begründet wird, den Schenkungsgegenstand weiterhin zu nutzen, worauf die vorstehend zitierte Literaturmeinung maßgeblich abstellt. Zusätzlich stützt sich das BVerfG nämlich darauf, dass die Norm einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen dem hinterbliebenen Ehegatten und den sonstigen Pflichtteilsberechtigten, insbesondere den Kindern des Erblassers, schaffe, deren durch das Pflichtteilsrecht gewährleistete Mindestbeteiligung am Nachlass und am Vermögen des Erblassers ihrerseits durch Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist (Besprechungsentscheidung Rn. 13). Auch im Hinblick darauf halte sich § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums.
Insoweit hat das BVerfG bereits in seinem Kammerbeschluss vom 06.04.1990 (1 BvR 171/90 – NJW 1991, 217) zu dem damaligen inhaltsgleichen § 2325 Abs. 3 HS. 2 BGB a.F. von einer „typisierenden Betrachtung der normalerweise vorauszusetzenden Lebens- und Interessengemeinschaft der Ehegatten“ durch den Gesetzgeber gesprochen. Den Begriff der „generalisierend-typisierenden Regelung“ greift das BVerfG im Besprechungsbeschluss für § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB n.F. wieder auf (Rn. 6). Kennzeichen und Wesen der gesetzlichen Typisierung ist aber, dass sie verallgemeinert und „damit Teile eines Sachverhalts in das Licht des Rechtserheblichen“ rückt, jedoch „andere im Dunkel des rechtlich Unerheblichen“ belässt (P. Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V 1992, § 124 Rn. 293). Die typisierende Betrachtungsweise des Gesetzgebers, die § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB zugrunde liegt, dürfte daher einer teleologischen Reduktion der Vorschrift entgegen ihrem klaren Wortlaut entgegenstehen, zumal davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Norm die Möglichkeit der Weiterveräußerung des Schenkungsgegenstandes durch den beschenkten Ehegatten nicht übersehen hat.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der vorliegende Beschluss des BVerfG vom 26.11.2018 ist für die Praxis von hoher Bedeutung. In einer ersten kurzen Besprechung hat Litzenburger (FD-ErbR 2019, 413652) das Fazit gezogen, nach dieser erneuten Nichtannahmeentscheidung sei es „müßig, noch einmal das Für und Wider dieser Vorschrift zu erörtern“. Dem kann man sich anschließen. Für die Praxis wird von der uneingeschränkten Anwendbarkeit des § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB entsprechend seinem eindeutigen Wortlaut auszugehen sein.

Besondere Fristenregelung für Schenkungen unter Ehegatten bei Pflichtteilsergänzung verfassungsgemäß
Birgit OehlmannRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Erbrecht
  • Zertifizierte Testamentsvollstreckerin (AGT)

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