Nachfolgend ein Beitrag vom 30.5.2016 von Halaczinsky, jurisPR-SteuerR 22/2016 Anm. 4

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Steuerbefreiung für den Erwerb eines Familienheims nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG setzt voraus, dass während eines Zeitraums von zehn Jahren nach dem Erwerb das Familienheim nicht nur vom Erwerber bewohnt wird, sondern auch das Eigentum bei diesem verbleibt. Es kommt demgemäß zu einer Nachversteuerung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG, wenn der Erwerber innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb das Eigentum an seine Kinder überträgt und das Familienheim bloß aufgrund eines vorbehaltenen Dauerwohnrechts bzw. eines vorbehaltenen Nießbrauchsrechts weiterhin nutzt (vgl. Literatur).
2. Der Wortlaut einer Steuernorm ist nicht allein maßgeblich für deren Anwendung. Um den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willen des Gesetzgebers umzusetzen, kann vielmehr auch eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des Steuergesetzes geboten sein. Der Richter darf sich der verschiedenen anerkannten Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen, um den jeweiligen Sachverhalt einer zutreffenden Besteuerung zuzuführen (Anschluss an BFH-Rechtsprechung).
3. Allein die Wiedergabe des Gesetzestextes in einem standardisierten Erläuterungstext eines Steuerbescheides kann einen Vertrauenstatbestand nicht begründen. Dies gilt auch dann, wenn der Erläuterungstext den Gesetzestext nur auszugsweise zitiert und daher in Einzelfällen missverstanden werden kann (vorliegend hätte der Steuerpflichtige vor der Übertragung des Grundstücks weitere Auskünfte zur Frage der Nachversteuerung einholen müssen).

A. Problemstellung

Entfällt die Steuerbefreiung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für den Erwerb eines Familienheims von den Eltern oder einem Elternteil, wenn jemand dieses Familienheim innerhalb der zehnjährigen Behaltensfrist seinen Kindern unter Vorbehalt eines Nießbrauchrechts und/oder eines Dauerwohnrechts zugunsten seines Ehegatten/seiner Ehegattin schenkt und es weiterhin selbst nutzt?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger hatte von seiner Mutter das Familienheim geerbt und mit seiner Familie bewohnt. Vier Jahre nach dem Erbanfall übertrug er das Familienheim an seinen Sohn und seine Tochter zum Miteigentumsanteil von je ½, wobei er sich das Nießbrauchsrecht an dem Grundstück und ein Dauerwohnrecht zugunsten seiner Ehefrau und sich selbst vorbehielt und das Familienheim weiterhin selbst nutzte. Das Finanzamt sah in der Übertragung auf die Kinder einen Verstoß gegen die Verpflichtung der zehnjährige Selbstnutzung als Eigentümer (unter Berufung auf R E 13.4 Abs. 6 Satz 2 und Abs. 7 ErbStR). Es erließ deswegen einen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO geänderten Steuerbescheid, mit dem es die auf das Familienheim entfallende Erbschaftsteuer nachforderte. Der Kläger wandte dagegen ein,
• er habe seinen Grundbesitz nicht zur Erzielung eines Gewinns veräußert, sondern an seine Kinder in dem Glauben verschenkt, dass dies keinen Einfluss auf die Höhe der Erbschaftsteuer habe, und
• der im ursprünglichen Steuerbescheid enthaltene Erläuterungstext sei unzureichend und für den Laien nicht nachvollziehbar, da er keinen Hinweis auf den Status als Eigentümer enthalte bzw. nicht auf die Schädlichkeit einer Veräußerung oder einer Schenkung hinweise.
Das FG Kassel hat die Auffassung des Finanzamts bestätigt und entschieden, dass es zwangsläufig zu einer Nachversteuerung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG komme, wenn der Erwerber innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb das Eigentum an seine Kinder übertrage und er das Familienheim bloß aufgrund eines vorbehaltenen Nießbrauchsrechts bzw. eines vorbehaltenen Dauerwohnrechts weiterhin nutze.
I. Das Gericht räumte ein, dass der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG nur eine zehnjährige Selbstnutzung zu Wohnzwecken fordere; die Beibehaltung der Eigentümerstellung gebe der Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich vor. Nach Auffassung des Gerichts sprächen aber sowohl die Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Norm (teleologische Auslegung) als auch die systematische Auslegung dafür, dass Familienheime während eines Zeitraums von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht nur vom Erwerber selbst bewohnt werden, sondern auch das Eigentum bei diesem verbleiben müsse. Es folgt damit nicht dem Teil des Schrifttums, welches die Meinung vertritt, dass die Steuerbefreiung auch bei der Übertragung des Eigentums nicht entfallen kann, solange der Erwerber – als Mieter oder Nießbraucher – im Familienheim wohnen bleibt (Geck, ZEV 2008, 557, 559; Jochum in: Wilms/Jochum, ErbStG, Stand: November 2015, § 13, Rn. 87; Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr. 6, S. 10; Viskorf/Haag, DStR 2012, 219). Auch einer differenzierten Auffassung des Schrifttums (vgl. Geck in: Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13, Rn. 39.7; Hübner/Tremel in: Hübner, Erbschaftsteuerreform 2009, S. 460 f.; vgl. Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Stand: Juli 2015, § 13, Rn. 72), nach der die Übertragung des Eigentums zwar grundsätzlich als schädlich anzusehen sei, jedoch dann nicht, wenn die Übertragung innerhalb der Familie stattfinde, etwa wenn ein Kind das Familienheim vom ursprünglichen Erwerber/bzw. der Erwerberin erwerbe, folgte es nicht.
Meines Erachtens interpretiert das Gericht das Gesetz bzw. den Gesetzeswillen zutreffend, denn maßgebendes Element der Begünstigung ist Erlangen des Eigentums an dem Familienheim und das „Behalten“ des Familienheims. In dem Zusammenhang steht auch die BFH-Auffassung, dass nur der Erwerb des Eigentums und nicht der Erwerb eines Wohnrechts die Befreiung nach § 13 Abs. Nr. 4b ErbStG auslösen kann (vgl. BFH, Urt. v. 03.06.2014 – II R 45/12 – BStBl II 2014, 806; Anm. Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 43/2014 Anm. 5; BVerfG v. 16.12.2014 – 1 BvR 2510/14, erledigt durch: Nichtannahmebeschl. v. 11.11.2015).
II. Das Gericht sah zutreffend auch keine verfahrensrechtlichen Gründe, nach denen das Finanzamt gehindert gewesen wäre, etwa nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, den ursprünglichen Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Insbesondere könne der Kläger sich nicht darauf berufen, dass er aufgrund des Erläuterungstextes des ursprünglichen Steuerbescheides darauf vertraut habe, die Übertragung auf seine Kinder habe keinen Einfluss auf die Steuerfreiheit des Erwerbs des Familienheims. Allein die Wiedergabe des Gesetzestextes in einem standardisierten Erläuterungstext eines Steuerbescheides könne keinen Vertrauenstatbestand begründen. Im Zweifel müsse ein Steuerpflichtiger in derartigen Fällen weitere Auskünfte einholen.

C. Kontext der Entscheidung

Das Gericht weist zu Recht unter Berufung auf Rechtsprechung des BFH darauf hin, dass die Befreiungs- und Nachforderungsregelungen in § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG aus verfassungsrechtlicher Sicht eine restriktive Anwendung erfordern. Der BFH hat mehrfach die Auffassung geäußert, dass die in § 13 Abs. 1 Nr. 4b und/oder 4c ErbStG vorgesehene Steuerbefreiung verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Denn sie führe bei Eheleuten (bzw. auch bei Kindern) zu einer Begünstigung von Immobilienvermögen, für die ein hinreichender sachlicher Grund fehle. Der Gesetzgeber müsse bei der Steuerfreistellung des zur individuellen Lebensgestaltung bestimmten Vermögens Grundeigentümer und Inhaber anderer Vermögenswerte in einem gleichen Individualbedarf steuerlich gleichbehandeln (vgl. BFH, Urt. v. 27.09.2012 – II R 9/11 – BStBl II 2012, 899 Rn. 150; BFH, Urt. v. 18.07.2013 – II R 35/11 – BStBl II 2013, 1051, zu § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG, m. Anm. Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 5/2014 Anm. 3; BFH, Urt. v. 03.06.2014 – II R 45/12 – BStBl II 2014, 806 Rn. 26, zu § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG, m. Anm. Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 43/2014 Anm. 5; BFH, Urt. v. 23.06.2015 – II R 13/13 – BFH/NV 2015, 1644, m. Anm. Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 3; Meßbacher-Hönsch, ZEV 2015, 382). Bezüglich der verfassungsrechtlichen Frage wird auf die genannten Urteilsanmerkungen verwiesen. Zur Zeit ist nicht ersichtlich, ob der Gesetzgeber in dem anstehenden Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 07.09.2015 (BT-Drs. 18/5923) darauf reagieren wird und welche Konsequenzen die Auffassung des BFH in neuen Fällen haben wird.
Die weitere Problematik der Befreiungsvorschriften, nämlich das Vorliegen der Selbstnutzung durch den Erblasser oder Erwerber, war hier kein Thema. Dennoch wird im Kontext auf den gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 03.03.2016 (BStBl I 2016, 280) hingewiesen, in dem die Finanzverwaltung die Anwendung bzw. Nichtanwendung einschlägiger Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 23.06.2015 – II R 13/13 – BStBl II 2016, 223; Urt. v. 23.06.2015 – II R 39/13 – BStBl II 2016, 225) regelt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Aus der Gesamtschau der aufgezeigten Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung haben Steuerpflichtige wohl nur geringe Chancen auf eine im Schrifttum vertretene „großzügigere“ Auslegung der Befreiungsregelungen rund um das Familienheim. Für die Praxis ist eine Eigentumsübertragung eines nach § 13 Nr. 4b oder 4c ErbStG begünstigt erworbenen Familienheims unter Nießbrauchs- und Dauerwohnrechtsvorbehalt (und weiterer Selbstnutzung) innerhalb der zehnjährigen Behaltensfrist nicht zu empfehlen. In schon verwirklichten vergleichbaren Fällen müsste in Hinblick auf die noch nicht höchstrichterlich geklärte Rechtslage Einspruch und ggf. Klage eingelegt werden. Ob die vom Gericht zugelassene Revision eingelegt worden ist, ist bisher in juris nicht dokumentiert.