Nachfolgend ein Beitrag vom 9.10.2017 von Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 41/2017 Anm. 4

Leitsatz

Eine aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses bestehende gesetzliche Unterhaltspflicht schließt die Gewährung des Pflegefreibetrags nicht aus.

A. Problemstellung

Der BFH hatte darüber zu befinden, ob Kinder, die ihre Eltern unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt gepflegt haben, beim Ableben der Eltern einen Pflegefreibetrag von 20.000 Euro (§ 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG) vom Erwerb abziehen können.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin ist Miterbin ihrer 2012 verstorbenen Mutter (M). Zum Nachlass der M gehörten u.a. Bankguthaben i.H.v. 785.543 Euro. M war im Jahr 2001 pflegebedürftig geworden. Die Klägerin hatte M im Dezember 2001 bis zu deren Tod in ihr Haus aufgenommen und auf eigene Kosten die Pflege der M übernommen. Ab November 2001 hatte die Pflegekasse der M Pflegegeld nach der Pflegestufe III gewährt.
Das Finanzamt setzte gegen die Klägerin Erbschaftsteuer fest, ohne einen Pflegefreibetrag zu berücksichtigen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht gab der Klage mit der Begründung statt, der Gewährung des Freibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG stehe nicht entgegen, dass die Klägerin als Tochter der M gemäß § 1601 BGB abstrakt verpflichtet gewesen sei, der M Unterhalt zu gewähren. Denn aufgrund des umfangreichen Vermögens der M sei die Klägerin dieser gegenüber nicht unterhaltsverpflichtet gewesen.
Der BFH hat die Revision des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen. Die mit der Erbeinsetzung bewirkte Zuwendung des Erblassers kann auch dann ein angemessenes Entgelt für die gewährte Pflege sein, wenn der Erwerber zu dem nach den zivilrechtlichen Vorschriften gegenüber dem Erblasser unterhaltspflichtigen Personenkreis gehört. Demgemäß kann auch ein Kind, das seine Eltern gepflegt hat, den Pflegefreibetrag beanspruchen.
Eine aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses nach den §§ 1601 ff., 1589 Satz 1 BGB bestehende gesetzliche Unterhaltspflicht schließt die Gewährung einer Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht aus (entgegen ErbStR 2011 R E 13.5 Abs. 1 Satz 2). Für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG auf Erwerber, die mit dem Erblasser nicht in gerader Linie verwandt sind, bietet der Wortlaut der Vorschrift keine Grundlage.
Der Verwandtenunterhalt nach den §§ 1601 ff. BGB verpflichtet Kinder nicht zur Erbringung einer persönlichen Pflegeleistung gegenüber ihren Eltern, da dieser gemäß § 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich in Geld zu erbringen ist. Auf die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten (§ 1602 BGB) bzw. die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (§ 1603 BGB) im Einzelfall kommt es – abweichend von der Ansicht des Finanzgerichts – daher nicht an (anders noch BFH, Urt. v. 27.09.1957 – III 298/56 U – BStBl III 1957, 427). Im Rahmen seiner Unterhaltspflicht schuldet der Unterhaltspflichtige – mit Ausnahme minderjährigen Kindern gegenüber (vgl. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) – nur die Gewährung von Barunterhalt zur Deckung des Lebensbedarfs (§§ 1610 Abs. 2, 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB), mithin die Leistung eines bestimmten Geldbetrags unter anderem für Wohnung, Verpflegung, Kleidung, Gesundheits- und Krankenfürsorge.
Die Pflicht zu Beistand und Rücksicht nach § 1618a BGB steht der Gewährung des Pflegefreibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ebenfalls nicht entgegen. Aus § 1618a BGB ergibt sich kein klagbarer Anspruch auf Erbringung von Pflegeleistungen. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine nicht sanktionsbewehrte Vorschrift, die lediglich Leitlinien aufzeigt und deren Verletzung grundsätzlich ohne unmittelbare Rechtsfolgen bleibt.

C. Kontext der Entscheidung

Der Begriff „Pflege gewähren“ in § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist grundsätzlich weit auszulegen (BFH, Urt. v. 11.09.2013 – II R 37/12 – BStBl II 2014, 114; Anm. Meßbacher-Hönsch, jurisPR-SteuerR 4/2014 Anm. 4). Pflege in diesem Sinne ist die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden einer hilfsbedürftigen Person. Die Gewährung von Pflege setzt begrifflich eine wegen Krankheit, Behinderung, Alters oder eines sonstigen Grundes bestehende Hilfsbedürftigkeit des Pflegeempfängers voraus. Dabei reicht es für die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG aus, dass die Pflege des Erblassers durch seine Hilfsbedürftigkeit veranlasst war. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser im Sinne der sozialrechtlichen Vorschriften pflegebedürftig war.
Zu den Pflegeleistungen zählen die Unterstützung und Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege (z.B. Waschen, Duschen, Kämmen), der Ernährung (z.B. Zubereiten und Aufnahme der Nahrung), der Mobilität (z.B. selbstständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung) und der hauswirtschaftlichen Versorgung (z.B. Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung). Voraussetzung ist dabei stets, dass die Leistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht worden sind. Die erbrachten Leistungen müssen im allgemeinen Verkehr einen Geldwert haben (BFH, Urt. v. 11.09.2013 – II R 37/12 – BStBl II 2014, 114).
Eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist nur zu gewähren, wenn die Pflege unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt geleistet worden ist. Unentgeltlich in diesem Sinne bedeutet, dass die Pflegeleistungen vom Erwerber erbracht werden, ohne hierfür eine Vergütung zu erhalten (BFH, Urt. v. 28.06.1995 – II R 80/94 – BStBl II 1995, 784, unter II.2.b).
Der Abzug eines Pflegefreibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG kommt zudem nur in Betracht, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt für die gewährte Pflege anzusehen ist. Ein angemessenes Entgelt ist die Zuwendung nur, soweit sie dem Betrag entspricht, den der Erblasser durch die Inanspruchnahme der Pflegeleistungen erspart hat. Der anzusetzende Freibetrag hängt insbesondere von Art, Dauer und Umfang der erbrachten Hilfeleistungen ab (BFH, Urt. v. 11.09.2013 – II R 37/12 Rn. 26 – BStBl II 2014, 114 m.w.N.). Der BFH hat in diesem Urteil bereits entschieden, dass an die Darlegung der Voraussetzungen des Pflegefreibetrags keine übersteigerten Anforderungen zu stellen sind.

D. Auswirkungen für die Praxis

Aufgrund der Besprechungsentscheidung des BFH steht nunmehr fest, dass der Pflegefreibetrag auch von denjenigen Personen beansprucht werden kann, die in der Praxis hauptsächlich die Pflege übernehmen. Der Pflegefreibetrag wird nicht nur bei einem Erwerb von Todes wegen gewährt, sondern auch bei Zuwendungen unter Lebenden (vgl. § 1 Abs. 2 ErbStG, ErbStR 2011 R E 13.5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3). Noch nicht geklärt ist, ob bei mehreren Zuwendungen unter Lebenden der Freibetrag bei jeder Zuwendung und damit mehrmals zu berücksichtigen ist. Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG schließt den mehrmaligen Abzug des Pflegefreibetrags bei einem mehrmals Beschenkten jedenfalls nicht von vornherein aus.

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