Nachfolgend ein Beitrag vom 25.9.2017 von Burgenger, jurisPR-InsR 19/2017 Anm. 6
Leitsätze
1. Stellt ein Nachlasspfleger Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung des Nachlasses fest, stellt er aber nicht sofort Insolvenzantrag, scheiden sowohl eine Anfechtung gemäß § 130 InsO als auch gemäß § 133 InsO wegen der an den Nachlasspfleger gezahlten Vergütung aus.
2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Nachlasspfleger keine außerhalb des Verfahrenszweckes liegenden Ansprüche begründet hat.
3. Auch Ansprüche gemäß § 826 BGB kommen nicht in Betracht.
A. Problemstellung
In Fällen einer Nachlassinsolvenz mit vorgeschalteter Nachlasspflegschaft stehen im Antragsverfahren tätige Gutachter bzw. Insolvenzverwalter häufig vor dem Problem, dass das wesentliche werthaltige Nachlassvermögen durch den Pfleger verwertet und zum Ausgleich seiner Vergütung herangezogen wurde. Deswegen muss oftmals solchen Verfahren die Eröffnung mangels einer kostendeckenden Masse verwehrt bleiben. In der jüngeren Vergangenheit wurde deswegen versucht, dieser Problematik durch die insolvenzrechtliche Anfechtung der Pflegervergütung zu begegnen. Dies stößt auf erhebliche systematische Probleme, da es sich um eine sog. unechte Masseverbindlichkeit i.S.d. § 324 Abs. 1 Nr. 4 InsO handelt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Mit Beschluss des AG Göttingen vom 16.08.2011 wurde der Beklagte mit dem Aufgabenkreis „Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie Erbenermittlung“ zum Nachlasspfleger bestellt. Am 02.12.2011 reichte der Beklagte einen Bericht ein, in welchem er die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Nachlasses feststellte. Mit Schreiben vom 22.12.2011 zeigte die Stadt Göttingen unbeglichene Beerdigungskosten von 1.620,96 Euro an. Aufgrund eines Vergütungsantrages vom 19.11.2011 setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 04.01.2013 die Pflegervergütung antragsgemäß auf 2.552,55 Euro zzgl. Auslagen von 62,18 Euro fest. Auf einen weiteren Vergütungsantrag vom 13.02.2014 setzte das Amtsgericht eine weitere Vergütung von 1.267,35 Euro nebst Auslagen von 25,42 Euro fest.
Unter dem 26.06.2014 stellte der Beklagte einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welches am 11.09.2014 bei gleichzeitiger Bestellung des Klägers zum Insolvenzverwalter eröffnet wurde.
Nachdem der Beklagte weitere, nach Eröffnung festgesetzte Pflegervergütungen von 767,55 Euro vom Kläger forderte, zeigte dieser mit Schreiben vom 06.11.2015 Masseunzulänglichkeit an.
Der Kläger verlangt auf Grundlage der insolvenzrechtlichen Vorsatzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO bzw. der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB die Erstattung der Pflegervergütungen an die Insolvenzmasse.
II. Das AG Göttingen hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
1. Anfechtungsansprüche gemäß § 130 Abs. 1 InsO bestünden bereits nach der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 15.12.2005 – IX ZA 3/04; Anm. d. Verfassers: keine Anwendung des § 130 InsO auf Massegläubiger) nicht.
2. Ansprüche gemäß § 133 Abs. 1 InsO könnten ebenfalls nicht erkannt werden.
Zunächst sei die vorliegende Konstellation nicht mit dem höchstrichterlich entschiedenen Fall (BGH, Urt. v. 15.12.2011 – IX ZR 118/11) vergleichbar, in dem der Insolvenzverwalter die Vergütung eines vormaligen vorläufigen Insolvenzverwalters, dessen Verfahren nicht zur Eröffnung gelangt ist, anficht. Vielmehr liege bei dem Nachlassverfahren und dem Insolvenzverfahren eine Parallelität vor.
Zudem handele der Nachlasspfleger nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er erst nach Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Nachlasses eigene Vergütungsansprüche befriedige. Den Nachlassverwalter treffe keine Pflicht zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens. Darüber hinaus könne nur im Falle von Befriedigungen von Verbindlichkeiten außerhalb des Verfahrenszweckes an eine Benachteiligungsabsicht gedacht werden. Dies sei bei einer gerichtlich festgesetzten Vergütung gleichwohl nicht der Fall.
Aus diesen Gründen müsse auch ein Anspruch gemäß § 826 BGB scheitern.
C. Kontext der Entscheidung
Das Amtsgericht lehnt die Ansprüche im Ergebnis zwar zutreffend ab, lässt jedoch in der Entscheidungsbegründung einige relevante Aspekte des Falles unbeleuchtet.
I. In der jüngeren Aufsatzliteratur (Roth, ZInsO 2017, 617, 621 f.) wird teilweise eine Anfechtung vorinsolvenzlicher ohne aktive Mitwirkung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründeter Masseverbindlichkeiten befürwortet.
1. Zur Begründung wird auf eine ehemalige und zugegebenermaßen niemals ausdrücklich aufgegebene Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 10.12.1980 – VIII ZR 327/79 – ZIP 1981, 132; BGH, Urt. v. 11.06.1992 – IX ZR 147/91 – NJW 1992, 2485) zur Anfechtbarkeit sog. unechter Masseverbindlichkeiten nach dem Recht der KO Bezug genommen. Die Anfechtbarkeit in dieser Rechtsprechung wird hauptsächlich auf das Argument gestützt, die Forderung des Gläubigers einer unechten Masseverbindlichkeit lasse sich ohne weiteres unter eine normale Konkursforderung subsumieren. Es gehe um die Rückgängigmachung vorkonkurslicher Rechtshandlungen. Zu dieser Zeit habe es weder Massegläubiger noch eine Konkursmasse gegeben.
2. Die anfechtungsbefürwortende Auffassung räumt zwar ein, die Insolvenzordnung habe die Rangvorrechte der KO abgeschafft. Jedoch seien Masseverbindlichkeiten gemäß den §§ 55 Abs. 2, Abs. 4, 270b, 324 InsO ihrem Charakter nach den ehemaligen unechten Masseverbindlichkeiten gleichzusetzen. Denn diese würden durch den Gesetzgeber als Masseverbindlichkeiten qualifiziert, obgleich sie vorinsolvenzlich, ohne aktive Handlung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet wurden. Dies komme vom Regelungsgehalt letztlich dem alten Rangvorrecht der KO gleich. Die vorinsolvenzliche Befriedigung dieser Masseverbindlichkeiten müsse deswegen der Anfechtung unterliegen, da es sich bei deren Gläubigern genauso um Insolvenzgläubiger handele. Eine Begrenzung der Anfechtbarkeit sei nur dort gesetzt, wo der vorläufige Insolvenzverwalter durch eine eigene Handlung das besondere Vertrauen des (Masse-)Gläubigers rechtfertige, die Leistung behalten zu dürfen.
II. Die oben skizzierte Auffassung ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung hat es in Teilbereichen immer wieder Bestrebungen des Gesetzgebers (Umsatzsteuer, § 55 Abs. 4 InsO, Sozialkassenbeiträge, § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV) und der Rechtsprechung (Rspr. des BAG zur Anfechtbarkeit von Löhnen) gegeben, die ehemaligen Konkursvorrechte entweder durch die Schaffung neuer Masseverbindlichkeiten oder die tatbestandliche Beschränkung der Anfechtbarkeit wieder einzuführen. Zur Eindämmung dieser im Widerspruch zum Verfahrenszweck des § 1 InsO stehenden Tendenz wäre die Befürwortung einer Anfechtbarkeit vorinsolvenzlich begründeter Masseverbindlichkeiten wünschenswert.
Gleichwohl müssen die zu ihrer Begründung vorgebrachten Argumente – insbesondere die Qualifizierung sog. unechter Massegläubiger als Insolvenzgläubiger – systematischen Bedenken begegnen.
Die Anfechtungsregelungen haben den Zweck, die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger schon für einen früheren Zeitpunkt als der formellen Eröffnung des Insolvenzverfahrens sicherzustellen (Uhlenbruck-Hirte/Ede, InsO, § 129 Rn. 1 m.w.N.). Insolvenzgläubiger ist nach der Legaldefinition des § 38 InsO, wer zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch hat. Zwar ließe sich der Gläubiger einer sog. unechten Masseschuld im Wege der Rechtsfortbildung ohne weiteres unter diese Legaldefinition fassen. Allerdings kann deren Anwendung nicht losgelöst von den sonstigen eindeutigen Anordnungen des Gesetzgebers innerhalb der Insolvenzordnung erfolgen. Soweit der Gesetzgeber in den §§ 55 Abs. 2, Abs. 4, 270b, 324 InsO bestimmte Forderungen als Masseverbindlichkeiten einordnet, ist dies im Rahmen einer systematischen Auslegung des § 38 InsO hinzunehmen.
Denn die Befriedigung der Massegläubiger i.S.d. § 53 InsO erfolgt vorweg außerhalb des Insolvenzverfahrens. Zwischen ihnen findet kein „Konkurs“ statt. Sie stehen außerhalb des Insolvenzverfahrens unter Beibehaltung aller ihrer Rechte wie der Geltendmachung ihrer Forderung im Wege einer Leistungsklage (Smid/Leonhardt in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 53 Rn. 2 m.w.N.).
Gemessen am Insolvenzzweck des § 1 InsO und dem Befriedigungssystem der Insolvenzordnung würde es eine Rechtsfortbildung contra legem darstellen, wenn man die Anfechtung der Befriedigung sog. unechter Masseverbindlichkeiten zur Anreicherung der Verteilungsmasse zugunsten der Insolvenzgläubiger zuließe. Eine Rechtsfortbildung ist jedoch nur zulässig, wenn der Richter ohne dieselbe vor einem non liquet, also einem ansonsten unentscheidbaren Fall stünde.
Schließlich ist unter Befriedigungsgesichtspunkten der wirtschaftliche Zweck einer solchen Vorgehensweise nicht erkennbar, denn die sog. unechten Masseverbindlichkeiten müssten vor einer Verteilung an die Insolvenzgläubiger ohnehin wieder vollständig vorab befriedigt werden. Ein wirtschaftlicher Sinn erschließt sich nur aus der Perspektive der Justiz und des Insolvenzverwalters, die bei sonstiger Massearmut durch die Anfechtung ggf. eine Deckung der Verfahrenskosten gemäß § 54 InsO erreichen könnten.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung schafft insofern Rechtssicherheit für Nachlasspfleger und -verwalter, als dass sie bei einer späteren Stellung eines Insolvenzantrages nicht die Anfechtung ihrer entnommenen Vergütungen befürchten müssen. Dies mag aus Perspektive der späteren Insolvenzsachverständigen ärgerlich sein, da sie in der Praxis häufig hinnehmen müssen, dass der Nachlasspfleger soweit tätig wurde, wie er aus dem Nachlass noch mit einer Vergütung rechnen konnte und nach vollständiger Liquidation werthaltiger Positionen einen Insolvenzantrag stellt. Diesem Phänomen lässt sich jedoch nicht mit dem Instrument der Insolvenzanfechtung begegnen. Ein geeigneterer Ansatzpunkt wäre hier die Frage, ob und inwieweit der Nachlasspfleger bei der Liquidation innerhalb seiner Befugnisse und sorgfaltsgerecht gehandelt hat.
Mühlhausen
Telefon: 03601 48 32 0
Leinefelde
Telefon: 03605 544 330
Gotha
Telefon: 03621 510 18 60 (RAe)
Telefon: 03621 510 18 00 (StB)
oder schreiben Sie hier eine Mail: