Nachfolgend ein Beitrag vom 22.08.2016 von Loose, jurisPR-SteuerR 34/2016 Anm. 5
Leitsatz
Die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall ist nach dem Tod des Vorerben regelmäßig gegen den Nacherben und nur ausnahmsweise gegen den Erben des Vorerben festzusetzen.
A. Problemstellung
Erbschaftsteuerlich wird die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft negiert (§ 6 ErbStG). Streitig war im entschiedenen Fall, gegen wen die Erbschaftsteuer aus der Vorerbschaft festzusetzen ist, gegen den Nacherben oder gegen den Erben des Vorerben.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin war die Alleinerbin der 2012 verstorbenen Erblasserin. Diese war ihrerseits alleinige Vorerbin ihres 2007 verstorbenen Ehemannes. Bis zu dem mit dem Tod der Vorerbin eingetretenen Nacherbfall war Testamentsvollstreckung angeordnet. Nacherbin war die Tochter des verstorbenen Ehemannes.
Nachdem der Testamentsvollstrecker die vom Finanzamt angeforderte Erbschaftsteuererklärung eingereicht hatte, setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall gegen die Klägerin fest. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Die Revision war hingegen begründet.
Nach Ansicht des BFH ist die gegen die Klägerin ergangene Steuerfestsetzung rechtswidrig. Da die Klägerin neben der Nacherbin für die aufgrund des Vorerbfalls entstandene Erbschaftsteuer hafte und sie und die Nacherbin Gesamtschuldner i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 1 AO seien, hätte das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden müssen, gegen welche Steuerschuldnerin es die Erbschaftsteuer festsetzt, und die Auswahl der Klägerin als Steuerschuldnerin spätestens in der Einspruchsentscheidung begründen müssen (§§ 121 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Dies sei nicht geschehen. Besondere Umstände, die eine Festsetzung der Erbschaftsteuer gegen die Klägerin ohne Begründung der Ermessensausübung rechtfertigen könnten, habe das Finanzgericht nicht festgestellt. Unerheblich sei, ob die Erbschaftsteuer noch gegen die Nacherbin festgesetzt werden könne. Für die Beurteilung, ob die Festsetzung der Steuer gegen die Nacherbin unzulässig oder untunlich war, sei der Zeitpunkt maßgebend, zu dem das Finanzamt erstmals Erbschaftsteuer gegen die Klägerin festgesetzt habe.
C. Kontext der Entscheidung
Zivilrechtlich ist es möglich, jemanden (z.B. den überlebenden Ehegatten) zum Vorerben und einen anderen (z.B. ein Kind) zum Nacherben zu bestimmen. Das hat gegenüber einem Berliner Testament, bei dem der überlebende Ehegatte Alleinerbe des zuerst versterbenden Ehegatten und die Kinder Erben des zuletzt versterbenden Elternteils werden, den entscheidenden Vorteil, dass der Nacherbe keinen Pflichtteil geltend machen kann. Er wird ja von der Erbfolge nicht ausgeschlossen.
Im Erbschaftsteuerrecht wird die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft in wesentlichen Teilen nicht nachvollzogen. Nach § 6 Abs. 1 ErbStG gilt der Vorerbe als Erbe. Er erwirbt den Nachlass gemäß den §§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG von Todes wegen und schuldet daher nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Erbschaftsteuer für diesen Erwerb. Das Erbschaftsteuerrecht knüpft damit an die zivilrechtliche Stellung des Vorerben an, der nach § 2100 BGB nur bis zum Eintritt der Nacherbfolge Erbe ist. Im Innenverhältnis hat nach § 20 Abs. 4 ErbStG der Nacherbe die durch den Vorerbfall veranlasste Erbschaftsteuer zu tragen. Mit dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge hört der Vorerbe nach § 2139 BGB auf, Erbe zu sein, und fällt die Erbschaft dem Nacherben an. Der Nacherbe ist Erbe des ursprünglichen Erblassers (vgl. Weidlich in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2015, Einf. v. § 2100 Rn. 1, § 2100 Rn. 1, § 2139 Rn. 1, 3 f.).
Der Nacherbe haftet nach § 1967 Abs. 1 und 2 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten, und zwar auch für die Verbindlichkeiten, die nicht vom Erblasser herrühren, sondern als Erbfallschulden den Erben als solchen treffen, soweit der Erblasser nicht ausnahmsweise ausschließlich den Vorerben mit Vermächtnissen oder Auflagen belasten wollte (Weidlich in: Palandt, BGB, § 2144 Rn. 1 f.; Avenarius in: Staudinger, BGB, 2013, Vorb. zu §§ 2144-2146 Rn. 1 f.). Der Vorerbe haftet für die Nachlassverbindlichkeiten lediglich nach Maßgabe des § 2145 BGB, insbesondere für Eigenverbindlichkeiten, die aber zugleich Nachlassverbindlichkeiten sein können, für die auch der Nacherbe haftet (Weidlich in: Palandt, BGB, § 2145 Rn. 1).
Nach diesen Grundsätzen haften sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe für die aufgrund des Vorerbfalls entstandene Erbschaftsteuer, und zwar als Gesamtschuldner. Die Erbschaftsteuer ist eine Verbindlichkeit, die den Vorerben als solchen trifft, und somit als Erbfallschuld eine Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 1967 BGB, die allerdings nach dem insoweit konstitutiv wirkenden § 10 Abs. 8 ErbStG bei der Bemessung der Erbschaftsteuer des Vorerben nicht abzugsfähig ist. Diese umstrittene Rechtsfrage hat der BFH unlängst in einem anderen Zusammenhang entschieden (vgl. BFH, Urt. v. 20.01.2016 – II R 34/14 – BStBl II 2016, 482; Anm. Loose, jurisPR-SteuerR 20/2016 Anm. 5). Es gibt weder einen zivilrechtlichen noch einen erbschaftsteuerrechtlichen Grund, die Erbschaftsteuerschuld insoweit anders als sonstige Nachlassverbindlichkeiten zu behandeln und anzunehmen, dass die Steuerschuld allein auf den Erben des Vorerben übergehe und der Nacherbe dafür nicht hafte. § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, wonach Steuerschuldner der Erwerber ist, ist eine allgemein für Erwerbe von Todes wegen und durch Schenkung unter Lebenden geltende Vorschrift, die die Anwendung der beim Eintritt des Nacherbfalls geltenden erbrechtlichen Regelungen des § 1967 BGB auf die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben nicht ausschließt.
Das Finanzamt hatte dies verkannt und keine Ermessensauswahl zwischen den beiden Gesamtschuldnern getroffen. Da der Nacherbe im Verhältnis zum Vorerben oder dessen Erben gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben zu tragen hat, entspricht es regelmäßig pflichtgemäßem Ermessen, die Steuer gegen den Nacherben festzusetzen. Will das Finanzamt von dieser Regel abweichen, muss es seine Auswahl besonders begründen – spätestens in der Einspruchsentscheidung. Die Inanspruchnahme des Erben des Vorerben als Gesamtschuldner braucht nur dann nicht begründet zu werden, wenn sie einer Vereinbarung zwischen diesem und dem Nacherben entspricht oder der Erbe des Vorerben bei der Herausgabe der Vorerbschaft an den Nacherben (§ 2130 Abs. 1 BGB) die zur Entrichtung der Erbschaftsteuer erforderlichen Mittel zurückbehalten hat oder vergleichbare Besonderheiten vorliegen. Eine Begründung ist auch entbehrlich, wenn die Steuerfestsetzung gegen den Nacherben aus Rechtsgründen, etwa wegen Festsetzungsverjährung, nicht mehr möglich ist oder infolge dessen wirtschaftlicher Situation keinen Erfolg verspricht und dies dem Erben des Vorerben bekannt oder ohne weiteres erkennbar ist. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für die Schenkungsteuer und die Grunderwerbsteuer, wenn das Finanzamt denjenigen der Gesamtschuldner, der nach den Vereinbarungen der Vertragsparteien nicht verpflichtet ist, die Steuer zu tragen, in Anspruch nimmt (vgl. dazu BFH, Urt. v. 01.07.2008 – II R 2/07 – BStBl II 2008, 897, unter II.1., m.w.N.).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung hat in zweierlei Hinsicht praktische Bedeutung. Zum einen stellt sie klar, wer im Falle einer Vor- und Nacherbschaft für die Erbschaftsteuer des Vorerbfalls als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann. Zudem macht die Entscheidung deutlich, dass eine Vielzahl von Steuerschuldnern oder Haftungsschuldnern für das Finanzamt „Fluch und Segen“ zugleich sind. „Segen“ insoweit, als das Finanzamt die Steuerschuld gegen zwei Schuldner festsetzen darf und kann, „Fluch“ deshalb, weil es sich nicht um eine gebundene, sondern eine Ermessensentscheidung handelt, wen man nun in Anspruch nimmt. Diese Ermessensentscheidung muss ausdrücklich begründet werden. Dies wird in der Praxis häufig nicht erkannt.