Nachfolgend ein Beitrag vom 18.7.2017 von Heitmann, jurisPR-FamR 14/2017 Anm. 1

Orientierungssatz

Wenn die 40 Jahre alte Anzunehmende ihre Leistungen gegenüber dem über 90 Jahre alten pflegebedürftigen Annehmenden durchgehend auf arbeitsvertraglicher Grundlage erbracht hat, zunächst auf Grundlage ihrer Anstellung in einer Seniorenresidenz, dann in Form eines Anstellungsvertrages direkt zwischen ihr und dem Annehmenden zu einer Nettovergütung von monatlich 2.000 Euro, spricht eine derartige Ausgestaltung des Pflegeverhältnisses im Zweifel gegen die Entstehung eines einem Eltern-Kind-Verhältnis ähnlichen Verhältnisses, welches eine Annahme als Kind i.S.v. § 1767 BGB sittlich rechtfertigen würde.

Orientierungssatz zur Anmerkung

Zur Frage der sittlichen Rechtfertigung der Adoption einer Pflegeperson durch einen gebrechlichen 92-jährigen.

A. Problemstellung

Mit einer Erwachsenenadoption werden häufig Erbschaftssteuervorteile bezweckt. In der vorliegenden Entscheidung eines besonders krassen Falles ist das AG Konstanz dem mit deutlichen Worten entgegengetreten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Eine 41-jährige Frau und ein 92-jähriger Mann beantragten die Annahme als Kind. Der Ehemann und die Kinder der Anzunehmenden willigten notariell ein. Der Annehmende war verwitwet und kinderlos. Er ist zwischenzeitlich – 2015 – verstorben.
Das AG Konstanz hat den Antrag zwar für zulässig erklärt, da nach § 1753 Abs. 2 BGB eine Adoption auch nach dem Tode des Annehmenden ausgesprochen werden kann, wenn der Antrag, wie vorliegend, bereits bei Gericht eingereicht worden ist. Der Antrag sei indessen nicht begründet, da die Adoption nicht sittlich gerechtfertigt sei, § 1767 BGB.
Ein wesentlicher Grund hierfür sei, dass die Bekanntschaft zwischen den beiden nur von kurzer Dauer, nämlich nur ca. acht Monate gedauert habe. Dem sei Folgendes vorausgegangen: Im Mai 2014 bedachte der Annehmende eine Verwandte testamentarisch, die auch eine Vorsorgevollmacht hatte. Im Juni 2014 wurde er in eine Seniorenresidenz aufgenommen. Dort bestand bis Ende 2014 ein Näheverhältnis zu einer Pflegekraft, die er als Erbin einzusetzen beabsichtigte und die seine Pflege in seiner bisherigen Wohnung übernehmen sollte. Die rechtliche Betreuung nach § 1896 BGB sollte dem Ehemann der Pflegerin übertragen werden. Nach Bedenken der Betreuungsbehörde wurde aber ein Berufsbetreuer bestellt und die Anzunehmende als nunmehr neue Pflegekraft übernahm im März des folgenden Jahres seine Pflege, zunächst in der Seniorenresidenz, dann in seiner alten Häuslichkeit. Sie erhielt hierfür eine Nettovergütung von mindestens 2.000 Euro. Der Annehmende hatte die Anzunehmende inzwischen zur Erbin eingesetzt. Der Annehmende war gesundheitlich labil, litt an einer Herzinsuffizienz, einer demenziellen Entwicklung und war hochgradig schwerhörig. Nach dem Tode seiner Ehefrau hatte sich eine reaktive Depression entwickelt.
Weiterhin sei eine Annahme als Kind sittlich nicht gerechtfertigt, da zwischen dem Annehmenden und der Anzunehmenden als seiner Pflegeperson ein entgeltliches Arbeitsverhältnis vorgelegen habe. Der Witwer habe infolge seines labilen körperlichen wie geistigen Gesundheitszustandes in kurzer Zeit jeweils drei verschiedene Personen, von denen er sich versorgen lassen wollte, als Erbe einsetzen wollen. Dies spreche dagegen, dass sich gerade zu der Anzunehmenden eine besondere Bindung entwickelt habe, die eine Annahme als Kind sittlich rechtfertigen würde. Vielmehr habe der Wunsch nach häuslicher Pflege im Vordergrund gestanden, die Frage, wer diese Pflege übernehme, sei sekundär gewesen.
Das Gericht hat sich in seiner Entscheidung auch darauf gestützt, dass der Gesetzgeber mit den Regelungen in § 1897 Abs. 3 BGB und § 14 Abs. 3 HeimG die Wertung zum Ausdruck gebracht habe, pflegebedürftige Personen vor einer Ausnutzung ihrer sich aus ihrem Zustand ergebenen Abhängigkeit zu schützen.
Das Gericht hat den Verfahrenswert auf 150.000 Euro festgesetzt. Bei einem Nachlasswert von 650.000 Euro ergäbe sich bei einer Erhöhung des steuerlichen Freibetrages von 20.000 Euro auf 400.000 Euro und einer Reduktion des Erbschaftssteuersatzes von 30% auf 11% ein entsprechendes wirtschaftliches Interesse in Form einer Erbschaftssteuerersparnis bei durchgeführter Adoption.

C. Kontext der Entscheidung

Auf die Erwachsenenadoption sind sinngemäß die Vorschriften der Minderjährigenadoption anzuwenden, § 1767 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Schwierigkeiten, die sich bei einem Vergleich minderjähriger zu volljährigen Kinder ergeben, hat das BayObLG in seinen beiden Entscheidungen vom 24.07.2002 (1Z BR 54/02 – Leis, jurisPR-FamR 1/2004 Anm. 6 und 1Z BR 9/02 – Lindemann-Hinz, jurisPR-FamR 8/2004 Anm. 5) herausgearbeitet. Es kommt darauf an, dass das Eltern-Kind-Verhältnis unter Erwachsenen im Wesentlichen von der auf Dauer angelegten Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand geprägt ist, wie ihn sich leibliche Eltern und Kinder typischerweise leisten. Wenn andere Motive im Vordergrund stehen, wie die finanzielle Absicherung der Anzunehmenden (vgl. OLG München Beschl. v. 08.06.2009 – 31 Wx 22/09 – Becker, jurisPR-FamR 17/2009 Anm. 5) oder die Ersparnis von Erbschaftssteuern (vgl. LG Saarbrücken, Beschl. v. 26.09.2008 – 5 T 187/08), sind die Voraussetzungen einer Erwachsenenadoption nicht gegeben. Die Voraussetzungen der Erwachsenenadoption müssen positiv festgestellt werden. Verbleiben begründete Zweifel, muss der Adoptionsantrag abgelehnt werden.
Die Entscheidung des AG Konstanz liegt vollständig auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung. Dass aus einem Verhältnis, das als Pflegeverhältnis begonnen ist, sich im Laufe von 18 Jahren aber auch ein Eltern-Kind-Verhältnis entwickeln kann, das eine Adoption sittlich gerechtfertigt sein lässt, zeigt der Fall des OLG Braunschweig, Beschl. v. 21.03.2017 – 1 UF 139/16.
Bei der Kostenentscheidung folgt das AG Konstanz dem OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.06.2010 – 8 WF 205/09). Bei Volljährigenadoptionen ist der Verfahrenswert vorrangig nach § 42 Abs. 2 FamGKG und nur ausnahmsweise nach dem Auffangtatbestand des § 42 Abs. 3 FamGKG zu bestimmen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Fall des AG Konstanz ist dreist und zeigt, wie gefährdet alte gebrechliche, zumal vermögende Personen auch durch ihre Pflegepersonen sind und wie leicht ihre Verzweiflung auszunutzen ist. Das Gericht hat zu Recht auf den Schutzgedanken des § 1897 Abs. 3 BGB und des HeimG hingewiesen. (Das Gericht hat dabei übersehen, dass durch die Föderalismusreform § 14 Abs. 3 HeimG als Bundesgesetz nicht mehr gilt und für Baden-Württemberg § 16 Abs. 4 Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz BW vom 14.05.2014 einschlägig ist. Der Regelungsinhalt ist aber vergleichbar.) Um Bewohner in einer Einrichtung zu schützen, können Mitarbeiter der Einrichtung nicht Betreuer werden. Mitarbeiter einer Einrichtung dürfen sich nach Heimrecht von den Bewohnern kein Geld oder geldwerte Leistungen, die über das vereinbarte Entgelt für die Pflege hinausgehen, versprechen lassen. Damit sind Heimbewohner geschützt, nicht aber in der Häuslichkeit lebende schützenswerte Menschen. Das Gericht hat gut daran getan, den gesetzlichen Schutzgedanken auch für das Adoptionsrecht heranzuziehen. Notare sollten auch auf das Kostenrisiko hinweisen.