Nachfolgend ein Beitrag vom 11.4.2016 von Loose, jurisPR-SteuerR 15/2016 Anm. 4

Leitsatz

Der Erbe kann eine vom Erblasser hinterzogene Einkommensteuer, die auch nach dem Eintritt des Erbfalls nicht festgesetzt wurde, selbst dann nicht als Nachlassverbindlichkeit abziehen, wenn er das für die Festsetzung der Einkommensteuer zuständige Finanzamt zeitnah über die Steuerangelegenheit unterrichtet hat.

A. Problemstellung

Nicht selten wird erst nach einem Erbfall die Steuerhinterziehung des Erblassers von den Erben aufgedeckt. Im Besprechungsfall war streitig, ob in einem solchen Fall die später tatsächlich festgesetzte Einkommensteuer oder die – im Streitfall höhere – materiell zutreffende Einkommensteuer als Nachlassverbindlichkeit bei der Erbschaftsteuer abzugsfähig ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist der Enkel der im April 2004 verstorbenen Erblasserin. Die Erblasserin hatte ein Kapitalvermögen in Höhe von ca. 2,8 Mio. Euro teilweise auf Konten in Luxemburg angelegt. Kapitalerträge daraus hatte die Erblasserin in ihren Einkommensteuererklärungen nicht angegeben. Die Erbfolge war zunächst streitig. Im Anschluss an einen gerichtlichen Vergleich erteilte das Amtsgericht einen Erbschein, der den zwischenzeitlich verstorbenen Bruder der Erblasserin und den Kläger zu je 1/2 als Erben ausweist.
Ende 2004 erstattete der Kläger Strafanzeige gegen den Bruder und den Lebensgefährten der Erblasserin und offenbarte darin das Vermögen der Erblasserin. Im Januar 2006 erklärte er gegenüber dem für die Einkommensteuer zuständigen Finanzamt die nicht versteuerten Zinseinkünfte für die Jahre 1993 bis 2002 nach. Hinsichtlich der Höhe der Kapitalerträge verständigten sich die Beteiligten im Tatsächlichen. Der tatsächlichen Verständigung waren zwei Anlagen beigefügt, in der die Beträge teilweise in Euro und teilweise ohne Währungsangabe angegeben waren. Das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt sah die Beträge ohne Währungsangabe fälschlicherweise als DM-Beträge an und rechnete sie bei der Änderung der Einkommensteuerbescheide – zugunsten der Erben – in Euro-Beträge um. Der Kläger hat den Fehler des Finanzamtes bei der Einkommensteuerfestsetzung erkannt, das Finanzamt aber nicht darauf hingewiesen.
In seiner Erbschaftsteuererklärung erklärte der Kläger Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 370.000 Euro. Das beklagte Finanzamt erließ einen Erbschaftsteuerbescheid und berücksichtigte dabei jedoch nur die tatsächlich festgesetzte Einkommensteuer nebst Zinsen in Höhe von insgesamt rund 150.000 Euro.
Dagegen richtete sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der der Kläger – nach Ablauf der Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer – erstmalig geltend machte, als Nachlassverbindlichkeiten seien die materiell zutreffenden Steuerverbindlichkeiten und nicht die tatsächlich festgesetzte Steuer abzuziehen. Dabei sei unerheblich, ob die Einkommensteuerfestsetzung noch geändert werden könne. Das Finanzgericht berücksichtigte die Einkommensteuer und die Nachzahlungszinsen, die sich bei zutreffender Umsetzung der tatsächlichen Verständigung ergeben hätten, als Nachlassverbindlichkeiten. Mit seiner Revision vertrat das Finanzamt die Ansicht, lediglich die tatsächlich festgesetzten Beträge könnten als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden.
Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Seiner Ansicht nach hat das Finanzgericht zu Unrecht angenommen, dass die materiell-rechtlich zutreffenden Steuernachforderungen nach Maßgabe der tatsächlichen Verständigung als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar seien. Die Steuern auf die Erträge der Erblasserin aus dem ausländischen Vermögen hätten beim Eintritt des Erbfalls nach den vom Finanzgericht getroffenen Feststellungen keine wirtschaftliche Belastung dargestellt und könnten deshalb nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden. Soweit sie nach dem Todesfall auch nicht tatsächlich festgesetzt wurden, könnten sie nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden. Die vom Kläger erstattete Strafanzeige ermögliche den Abzug auch dann nicht, wenn man sie als zeitnahe Unterrichtung des für die Festsetzung der Einkommensteuer zuständigen Finanzamts über die Steuerangelegenheit ansehen könnte. Ob die Steuerschulden und Zinsen in dem Umfang, wie sie das Finanzamt berücksichtigt hat, zu Recht abgezogen worden seien, so der BFH, bedürfe keiner Entscheidung.

C. Kontext der Entscheidung

Ausgangspunkt für den Abzug von Einkommensteuerschulden des Erblassers als Nachlassverbindlichkeiten bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer gegenüber dem Erben ist § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Danach sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Dabei ist unerheblich, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht. Ausschlaggebend ist allein, dass die Steuern vom Erblasser „herrühren“. Daher ist auch die Einkommensteuer des Todesjahres, wenngleich am Todesstichtag noch gar nicht entstanden, abzugsfähig, weil der Erblasser den Tatbestand, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft, im Zeitpunkt seines Todes bereits verwirklicht hatte (vgl. BFH, Urt. v. 04.07.2012 – II R 15/11 – BStBl II 2012, 790, m. Anm. Spanke, jurisPR-SteuerR 43/2012 Anm. 3).
Die Rechtsprechung hat daneben ein weiteres – ungeschriebenes – Tatbestandsmerkmal entwickelt. Der Abzug als Nachlassverbindlichkeiten ist nur zulässig, wenn die Steuerschulden des Erblassers im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben (BFH, Urt. v 24.03.1999 – II R 34/97 – BFH/NV 1999, 1339; BFH, Urt. v. 02.03.2011 – II R 5/09 – BFH/NV 2011, 1147 Rn. 82 ff.; BFH, Urt. v. 04.07.2012 – II R 15/11 Rn. 17). § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG verlangt seinem Wortlaut nach zwar nicht ausdrücklich eine wirtschaftliche Belastung durch die am Stichtag bestehenden oder vom Erblasser herrührenden Schulden. Die Vorschrift trägt aber dem Bereicherungsprinzip, das der Besteuerung des Erwerbs zugrunde liegt, Rechnung (vgl. dazu BFH, Urt. v. 01.07.2008 – II R 38/07 – BStBl II 2008, 876, m. Anm. Dötsch, jurisPR-SteuerR 40/2008 Anm. 4; Meincke, ErbStG, 16. Aufl., § 10 Rn. 5 ff., 31).
Das Erfordernis einer wirtschaftlichen Belastung wird in der Literatur kritisiert (vgl. z.B. Geck in: Kapp/Ebeling, ErbStG, § 10 Rn. 69). Der BFH hat gleichwohl daran immer wieder festgehalten, z.B. im Urteil zu dem Abzug der Einkommensteuer des Todesjahres (BFH, Urt. v. 04.07.2012 – II R 15/11 Rn. 17) oder im Urteil zur Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Tod des Verpflichteten durch dessen Alleinerben (BFH, Urt. v. 19.02.2013 – II R 47/11 – BStBl II 2013, 332, m. Anm. Podewils, jurisPR-SteuerR 17/2013 Anm. 5). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden (§ 85 AO) und somit im Todeszeitpunkt die erforderliche wirtschaftliche Belastung mit der Steuerschuld gegeben war (BFH, Urt. v. 24.03.1999 – II R 34/97 – BFH/NV 1999, 1339). Trifft dies zu, ist die als Nachlassverbindlichkeit abziehbare Steuerschuld für die Festsetzung der Erbschaftsteuer eigenständig zu ermitteln. Es spielt keine Rolle, ob und ggf. in welcher Höhe die danach abziehbare Steuer tatsächlich festgesetzt wird (BFH, Urt. v. 04.07.2012 – II R 15/11 Rn. 26). Das folgt aus dem erbschaftsteuerrechtlichen Stichtagsprinzip (§§ 11 i.V.m. 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Danach ist für die Wertermittlung der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer maßgebend, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 11 ErbStG). Der Zeitpunkt der Steuerentstehung, beim Erwerb des Erben von Todes wegen also regelmäßig der Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), ist der umfassende zeitliche Bezugspunkt für die Erbschaftsteuer. Zur Wertermittlung gehört auch die Feststellung, welche Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 bis 9 ErbStG abziehbar sind (Gebel/Gottschalk in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 11 Rn. 1, 3; Schuck in: Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, ErbStG, 4. Aufl., § 11 Rn. 2; Pahlke in: Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 5. Aufl., § 11 Rn. 1 f.; Meincke, ErbStG, 16. Aufl., § 11 Rn. 1; Schmid, ZEV 2015, 387).
An der wirtschaftlichen Belastung im Todeszeitpunkt fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in diesem Zeitpunkt angenommen werden konnte, dass der Steuergläubiger seine Forderung nicht geltend machen werde. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Erblasser die aus seinem im Ausland angelegten Vermögen erzielten Einkünfte gegenüber dem für die Festsetzung der Einkommensteuer zuständigen Finanzamt verschwiegen hatte und diesem deshalb auch die nur theoretische Möglichkeit genommen war, von den darauf beruhenden Steueransprüchen zu erfahren (vgl. BFH, Urt. v. 24.03.1999 – II R 34/97 – BFH/NV 1999, 1339). Soweit die Steuer auch nicht später tatsächlich festgesetzt wird, kann sie nach diesem Urteil allenfalls dann als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden, wenn der Erbe oder eine für ihn handelnde Person das zuständige Finanzamt so zeitnah über die Steuerangelegenheit unterrichtet hat, dass eine Rückbeziehung auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) möglich ist. Nach erneuter Prüfung der Rechtslage hält der BFH daran nicht mehr fest. Unterrichtet der Erbe das zuständige Finanzamt nach dem Tod des Erblassers über die Steuerangelegenheit, handelt es sich um ein nach dem Bewertungsstichtag eingetretenes Ereignis, das nach dem Stichtagsprinzip (§ 11 ErbStG) bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer nicht berücksichtigt werden kann. Das gelte auch dann, so der BFH, wenn der Erbe das zuständige Finanzamt zeitnah nach dem Eintritt des Erbfalls über die Steuerangelegenheit unterrichtet hat und er von diesem Zeitpunkt an mit der Steuerfestsetzung rechnen musste. Für eine Unterscheidung nach dem Zeitpunkt der Unterrichtung des zuständigen Finanzamts gebe es keine Rechtsgrundlage. Ob die Unterrichtung früher oder später erfolgt, wirkt sich auf die mit dem Tod des Erblassers eingetretene Bereicherung des Erben nicht aus, sondern nur, ob die Steuer auch tatsächlich festgesetzt wird und der Erbe durch die Steuerfestsetzung wirtschaftlich belastet ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der BFH hat seine Rechtsprechung zum Abzug von Einkommensteuerschulden bei einer Steuerhinterziehung des Erblassers präzisiert. Es kommt nicht mehr darauf an, dass der Erbe die Finanzbehörde zeitnah über die Steuerhinterziehung des Erblassers aufklärt. Das heißt jedoch nicht, dass der Erbe nunmehr die Steuerhinterziehung der Finanzbehörde verschweigen sollte. Die Finanzverwaltung selbst baut ihm nämlich eine „goldene Brücke“. Nach dem im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der anderen Länder ergangenen Erlass des Finanzministeriums NRW vom 14.11.2002 (S 3810-13-V A 2 – BB 2003, 36) können vom Erblasser hinterzogene Steuern als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG berücksichtigt werden, wenn sie tatsächlich festgesetzt worden sind oder werden. Das gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung erst nach dem Tod des Erblassers, z.B. durch den Erben, aufgedeckt wird. Die Finanzverwaltung macht den Abzug der hinterzogenen Steuern lediglich von deren Festsetzung abhängig, nicht aber von dem Zeitpunkt, zu dem das zuständige Finanzamt von der Steuerangelegenheit unterrichtet wurde. Das ist nachvollziehbar. Anderenfalls kommt man – gerade bei mehreren Erben – in Abgrenzungsschwierigkeiten, wenn nur einer der Erben die Finanzbehörde zeitnah unterrichtet.