Nachfolgend ein Beitrag vom 9.5.2017 von Schmid, jurisPR-FamR 9/2017 Anm. 1
Orientierungssätze
1. Die Geltendmachung eines verjährten Pflichtteilsanspruchs (herrührend aus dem Erbfall des früher verstorbenen Vaters) durch den Pflichtteilsberechtigten gegenüber sich selbst – als Erbe der Pflichtteilsschuldnerin – führt nicht zu einer vom Erwerb des Erben abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeit der Erblasserin nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG (so auch Urteil des FG München vom 24.07.2002 – 4 K 1286/00).
2. Es ist nicht davon auszugehen, dass beim Fehlen eines natürlichen Interessengegensatzes (Kläger als Pflichtteilsberechtigter und Pflichtteilverpflichteter) ein verjährter Anspruch geltend gemacht wird.
3. Revision eingelegt (Az. des BFH: II R 1/16).
A. Problemstellung
Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG sind im Rahmen der Erbschaftbesteuerung des Erben insbesondere Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen, Auflagen und geltend gemachten Pflichtteilen vom Erwerb als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Die Beteiligten streiten in diesem Zusammenhang darüber, ob eine solche Erwerbsminderung auch dann vorliegt, wenn der Pflichtteilsanspruch verjährt und zudem durch sog. Konfusion (Pflichtteilsberechtigter ist gleichzeitig Schuldner des Pflichtteilsanspruchs) zivilrechtlich erloschen ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der am 09.01.2008 verstorbene Vater des Klägers wurde von seiner Ehefrau, der Stiefmutter des Klägers, allein beerbt. Der Kläger machte zunächst keine Pflichtteilansprüche geltend. Aufgrund einer testamentarischen Verfügung wurde der Kläger Alleinerbe der am 01.01.2011 verstorbenen Stiefmutter. Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom 29.02.2012 die Erbschaftsteuer nach der Stiefmutter auf 61.785 Euro fest.
Am 04.09.2013 beantragte der Kläger diesen Erbschaftsteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern und den nunmehr von ihm geltend gemachten Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit nach seinem Vater zu berücksichtigen. Er (Pflichtteilsgläubiger) habe den Anspruch mit Schreiben vom 14.08.2013 gegen sich selbst als Alleinerbe seiner verstorbenen Stiefmutter (ursprüngliche Pflichtteilsschuldnerin) geltend gemacht und dabei die Einrede der Verjährung nicht erhoben.
Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, es fehle im vorliegenden Fall an einer wirtschaftlichen Belastung der Erbin (Stiefmutter), da zu deren Lebzeiten der Pflichtteilanspruch nicht geltend gemacht worden sei. In diesem Falle liege keine Nachlassverbindlichkeit i.S.v. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG (vom Erblasser herrührende Schuld) vor.
Das FG Kassel hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
Nach Eintritt der Verjährung könne ein Pflichtteilanspruch – jedenfalls im vorliegenden Fall der Konfusion – nicht mehr als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden. Grundsätzlich komme einem Pflichtteilanspruch erst dann erbschaftsteuerliche Relevanz zu, wenn er geltend gemacht worden sei. Dies gelte auch für einen Erben des Pflichtteilsschuldners. Auch für diesen stelle die Pflichtteilsschuld erst dann eine Nachlassverbindlichkeit dar. Der Pflichtteilsanspruch sei erst geltend gemacht, wenn der Berechtigte dessen Erfüllung vom Erben „ernstlich“ verlange.
Verstirbt – wie hier – der verpflichtete Erbe vor der Geltendmachung, gehe die Verbindlichkeit gemäß den §§ 1922, 1967 Abs. 1 BGB auf den oder die Erben über. Diesen Erben gegenüber könne der Berechtigte den Pflichtteil mithin geltend machen, so dass dann steuerlich eine Nachlassverbindlichkeit entstehe, § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Dies gelte jedenfalls, wenn der Pflichtteilsanspruch bei Geltendmachung noch nicht verjährt sei (BFH, Urt. v. 19.02.2013 – II R 47/11 – BStBl II 2013, 332).
Dies gelte grundsätzlich auch im Falle der Konfusion. Zwar erlösche zivilrechtlich in der Regel sowohl der Pflichtteilsanspruch als auch die Pflichtteilsverbindlichkeit, wenn der Pflichtteilberechtigte Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten werde (Konfusion vgl. dazu BGH, Urt. v. 23.04.2009 – IX ZR 19/08 – NJW-RR 2009, 1059; BFH, Urt. v. 07.03.2006 – VII R 12/05 – BFHE 212, 388).
Das Erbschaftsteuerrecht folge aber hinsichtlich der Konfusion nicht dem Zivilrecht. Vielmehr gelten die infolge des Erbanfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung erloschenen Rechtsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Diese Fiktion ermögliche dem Pflichtteilsberechtigtem, der der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten sei, die Geltendmachung des Pflichtteils jedenfalls solange er nicht verjährt sei, nachzuholen (so jetzt BFH Urt. v. 19.02.2013 – II R 47/11 – BFHE 240, 186).
Ein Abzug des Pflichtteilanspruchs als Nachlassverbindlichkeit komme hier aber nicht in Betracht, da der Anspruch zum Zeitpunkt seiner Geltendmachung bereits verjährt gewesen sei. Die Verjährungsfrist habe mit Beginn des Jahres 2009 begonnen und sei mit Ablauf des Jahres 2011 geendet, §§ 2317 Abs. 1, 2332, 195, 199 BGB.
Zwar sei ein Teil der Literatur der Auffassung, dass auch ein verjährter Pflichtteilsanspruch nach dessen Geltendmachung und Erfüllung als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen sei (so Meincke, ErbStG, Kommentar, 16. Aufl., § 10 Rn. 36; Jüptner in: Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG Kommentar, 2. Aufl., Rn. 185) oder sogar im Falle der Konfusion diese Möglichkeit bestehen bleibe (Gebel in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Kommentar, 46. EL. September 2013, § 10 Rn. 98 und Rn. 183).
Das Gericht schließe sich jedoch der Ansicht des FG München im Urteil vom 24.07.2002 (4 K 1286/00 – EFG 2002, 1625) an, wonach die Geltendmachung eines verjährten Pflichtteilsanspruchs (herrührend aus dem Erbfall des früher verstorbenen Vaters) durch die Pflichtteilsberechtigten gegenüber sich selbst – also Erben der Pflichtteilsschuldnerin – nicht zu einer vom Erwerb der Erben abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeit der Erblasserin nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG führe.
Denn es liege nach Eintritt der Verjährung allein in der Hand des Pflichtteilsschuldners, ob er einen geltend gemachten Pflichtteilsanspruch noch erfülle oder sich auf die Einrede der Verjährung berufe (vgl. dazu auch Geck, DStR 2013, 1368). Insoweit habe das Gericht bereits erhebliche Zweifel, ob die Geltendmachung eines verjährten Pflichtteilsanspruchs überhaupt noch zu einer Nachlassverbindlichkeit führen könne.
In der vorliegenden Konstellation könne dies laut dem Gericht dahinstehen, da nicht davon auszugehen sei, dass der Kläger als Pflichtteilberechtigter den Pflichtteilsanspruch „ernsthaft“ geltend mache. Einer Ernsthaftigkeit stehe nach Überzeugung des Gerichts der Eintritt der Verjährung entgegen. Soweit der Kläger vortrage, er würde die Einrede der Verjährung nicht erheben, könne dem keine Bedeutung beigemessen werden, wenn es – wie im Streitfall – an einem natürlichen Interessengegensatz fehle und die gewählte Konstruktion bei gleicher Höhe der Erbschaft ausschließlich zu einer geringeren Steuerlast führe.
C. Kontext der Entscheidung
Das FG Kassel – wie auch der BFH in seinem Urteil vom 19.02.2013 (II R 47/11 – BFHE 240, 186) – lässt die grundsätzliche Frage offen, ob die Geltendmachung eines bereits verjährten Pflichtteilanspruch als Nachlassverbindlichkeit angesetzt werden kann.
Diese Frage kann sich in drei verschiedenen Konstellationen stellen, nämlich
1. bei Geltendmachung gegenüber dem Erben
2. nach dem Tod des Erben bei Geltendmachung gegenüber dessen Erben
3. nach dem Tod des Erben bei Geltendmachung gegen sich selbst als Alleinerben.
Das Finanzgericht hat lediglich darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich Bedenken habe, dass eine verjährte Pflichtteilsforderung noch als Nachlassverbindlichkeit anerkannt werden könne.
Anders das FG Kiel. Dieses hat zwischenzeitlich eine Abzugsmöglichkeit verjährter Pflichtteilsansprüche in seiner Entscheidung vom 04.05.2016 (3 K 148/15) bejaht und zwar sogar auch in der 3. Konstellation, d.h. bei Konfusion. Gegen beide Entscheidungen ist Revision eingelegt.
Auch die Literatur ist überwiegend der Ansicht, dass auch die Geltendmachung und Erfüllung einer verjährten Pflichtteilforderung noch anerkannt werden muss (etwa Geck, DStR 2013, 268, 269; Wachter, ZEV 2013, 222).
Die ausschlaggebende Begründung des FG Kassel kann hingegen nicht überzeugen. Sie verkennt die grundsätzliche Bedeutung der Vorschrift des § 10 Abs. 3 ErbStG, nämlich dass die zivilrechtliche Konfusion im Steuerrecht gerade nicht greift. Die Vorschrift sieht ausdrücklich vor, dass die infolge des Anfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit erloschenen Rechtsverhältnisse als nicht erloschen gelten. „Ernsthaft“ geltend gemacht und bezahlt wird in diesen Fallen nämlich auch eine nicht verjährte Forderung nicht.
D. Auswirkungen für die Praxis
Insbesondere im Rahmen des weit verbreiteten „Berliner Testaments“ ist zu prüfen, ob die Geltendmachung eines Pflichtteils nach dem Erstverstorbenen noch vor der Verjährung möglich ist. Dabei ist im Falle der Konfusion in einer Vergleichsrechnung zu prüfen, ob die Geltendmachung tatsächlich steuerlich günstiger ist.
Grundsätzlich muss bei diesem Vorgehen auch beachtet werden, ob eine eventuelle Pflichtteilstrafklausel greift.
Nach der derzeitigen Rechtslage sollte – nach entsprechender rechnerischer Prüfung – auch ein verjährter Pflichtteilanspruch (auch wenn er zivilrechtlich durch Konfusion erloschen ist) steuerlich geltend gemacht werden und ein Antrag auf Änderungen des Erbschafsteuerbescheides gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO gestellt werden. Ergeht ein abgehender Bescheid, sollte Einspruch eingelegt werden.