Nachfolgend ein Beitrag vom 12.9.2017 von Birkenheier, jurisPR-FamR 18/2017 Anm. 8

Leitsatz

Ein Verstoß gegen Treu und Glauben wegen widersprüchlichen Verhaltens kann gegeben sein, wenn sich eine Partei im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs auf das Fehlen der Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands beruft, nachdem sie in einem Parallelprozess einer anderen Partei vor den ordentlichen Gerichten die Schiedseinrede erhoben und damit erreicht hat, dass die Klage zurückgenommen wurde.

Orientierungssatz zur Anmerkung

Der Streit über einen Pflichtteilsanspruch kann nicht durch letztwillige Verfügung der Entscheidung durch ein Schiedsgericht unterworfen werden (vgl. Parallelentscheidung des BGH v. 16.03.2017 – I ZB 50/16 mit Anm. Strohal, jurisPR-FamR 16/2017 Anm. 7)

A. Problemstellung

Die nicht von dem für Erbrecht zuständigen IV. Zivilsenat des BGH, sondern von dem für Rechtsstreitigkeiten über Schiedsvereinbarungen und Schiedssprüche (§§ 1025 ff. ZPO) zuständigen I. Zivilsenat des BGH stammende Entscheidung befasst sich schwerpunktmäßig mit der erst in den letzten Jahren in Rechtsprechung und Literatur verstärkt erörterten Streitfrage, ob der Erblasser in zulässiger Weise durch letztwillige Verfügung und damit einseitig die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts für Streitigkeiten über Pflichtteilsansprüche anordnen kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der im Mai 2010 verstorbene Erblasser hatte die Antragsgegnerin, seine Tochter, durch notarielles Testament zu seiner Alleinerbin bestimmt. Das Testament enthielt die Anordnung, dass über alle Streitigkeiten über dieses Testament und aus diesem Testament, über die Erbfolge und evtl. Pflichtteilsrechte ausschließlich ein Schiedsgericht nach den Regeln des Schlichtungs- und Schiedsgerichtshofs Deutscher Notare entscheiden solle. Die Witwe des Erblassers und Mutter der Antragsgegnerin machte gegen diese in einem Parallelverfahren zunächst vor den ordentlichen Gerichten im Wege der Stufenklage ihren Pflichtteilsanspruch geltend. Dem in der ersten Stufe gestellten Auskunftsantrag gab das Landgericht durch Teilurteil statt, wobei es die von der Antragsgegnerin erhobene Schiedseinrede nicht für begründet erachtete. Nach Hinweis des Berufungsgerichts, es halte anders als das Landgericht die Schiedseinrede für begründet, nahm die Mutter ihren Auskunftsantrag zurück. Anschließend erhob sie wegen ihres Pflichtteilsanspruchs beim Schlichtungs- und Schiedsgerichtshofs Deutscher Notare Schiedsklage gegen die Antragsgegnerin, die gegen die Durchführung dieses Schiedsverfahrens zunächst keine Einwände vortrug; erst nachdem das Schiedsgericht durch Versäumnisentscheidung zu ihrem Nachteil entschieden und den Einspruch gegen diese Entscheidung verworfen hatte, hat sich die Antragsgegnerin im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs auf die Schiedsunfähigkeit des Pflichtteilsanspruchs berufen.
Im vorliegenden Verfahren erhob der Bruder der Antragsgegnerin beim Schlichtungs- und Schiedsgerichtshofs Deutscher Notare Schiedsklage, mit der er einen Pflichtteilsanspruch i.H.v. knapp 6.000 Euro geltend machte. Nach einem Termin zur Güteverhandlung und mündlichen Verhandlung, in dem die Antragsgegnerin nicht anwesend war, gab das Schiedsgericht der Schiedsklage statt. Der gegen den Schiedsspruch von der Antragsgegnerin erhobene Einspruch und deren vorsorglich gestelltes Wiedereinsetzungsgesuch wurden vom Schiedsgericht wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Der Antragsteller hat daraufhin beantragt, den Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären. Die Antragsgegnerin hat die Zurückweisung dieses Antrags und ferner beantragt, den Schiedsspruch aufzuheben. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs abgelehnt und den Schiedsspruch aufgehoben (OLG München, Beschl. v. 25.04.2016 – 34 Sch 12/15 – FamRZ 2016, 1310), und zwar mit der Begründung, es liege ein Verstoß gegen § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO (Fehlen der Schiedsfähigkeit) vor, weil der Pflichtteilsanspruch nicht durch einseitige Verfügung von Todes wegen dem Schiedsverfahren unterstellt werden könne. Zudem bestehe der Aufhebungsgrund gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO (Verstoß gegen den innerstaatlichen verfahrensrechtlichen ordre public), weil das Schiedsgericht die Bestimmung des § 1048 Abs. 3 ZPO über die Entscheidung bei Säumnis einer Partei nicht beachtet und dadurch den Anspruch der Antragsgegnerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe.
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen diese Entscheidung hat der I. Zivilsenat des BGH als im Ergebnis unbegründet zurückgewiesen.
Zwar bestätigt der BGH, dass das OLG München zutreffend einen Verstoß gegen § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO festgestellt habe, weil der vom Antragsteller geltend gemachte Pflichtteilsanspruch nicht durch einseitige Verfügung von Todes wegen dem Schiedsverfahren unterstellt werden könne. Ein Schiedsgericht – so der BGH – werde nämlich nur dann i.S.v. § 1066 ZPO „in gesetzlich statthafter Weise“ durch letztwillige Verfügung angeordnet, wenn diese Anordnung materiell-rechtlich in der Verfügungsmacht des Erblassers liege. Die Testierfreiheit, die Grundlage der Aufnahme einer Schiedsklausel in eine letztwillige Verfügung sei, sei jedoch in ihrer Reichweite durch die dem Erblasser nach den Vorschriften des materiellen Rechts zustehenden Anordnungskompetenzen beschränkt. Da die gesetzliche Anordnung der grundsätzlichen Unentziehbarkeit des Pflichtteils die Testierfreiheit beschränke, sei dem Erblasser jede Beschränkung des Pflichtteilsberechtigten bei der Verfolgung und Durchsetzung seines Pflichtteilsanspruchs verwehrt. Ein Erblasser, der dem Pflichtteilsberechtigten durch letztwillige Verfügung den Weg zu den staatlichen Gerichten versperre und ihm ein Schiedsgericht aufzwinge, überschreite die ihm durch das materielle Recht gezogenen Grenzen seiner Verfügungsfreiheit. Streitigkeiten, die ihre Grundlage in zwingendem Pflichtteilsrecht haben, seien daher nicht schiedsfähig i.S.v. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ZPO. Offengelassen hat der BGH, ob diese Grundsätze auch uneingeschränkt gelten, wenn einem Pflichtteilsberechtigten zugleich ein (den Pflichtteil übersteigender) Erbteil zugewandt worden ist oder er zugleich als Vermächtnisnehmer bedacht worden ist, da im konkreten Fall allein der Pflichtteilsanspruch des Antragstellers im Streit war.
Auf das Fehlen der Schiedsfähigkeit des Pflichtteilsanspruchs entsprechend den vorstehend geschilderten Grundsätzen konnte sich die Antragsgegnerin jedoch nach Ansicht des BGH im konkreten Fall nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs nicht berufen, nachdem sie sich zuvor in dem von ihrer Mutter gegen sie vor den staatlichen Gerichten geführten Prozess auf die testamentarische Schiedsklausel berufen und dadurch die Klagerücknahme der Mutter erreicht hatte, und nachdem sie in dem anschließend von ihrer Mutter eingeleiteten Schiedsverfahren bei der Konstituierung des Schiedsgerichts mitgewirkt, sich auf das Schiedsverfahren eingelassen und erst im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs die Unwirksamkeit der Schiedsklausel geltend gemacht hatte. Dieses widersprüchliche Verhalten müsse sich die Antragsgegnerin auch im Verhältnis zu ihrem Bruder, dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens, entgegenhalten lassen, da es hier um dieselbe Schiedsanordnung gehe wie in dem Verfahren gegen ihre Mutter und da sie sich auch hier erstmals nach der zu ihrem Nachteil ergangenen Versäumnisentscheidung und Verwerfung ihres Einspruchs im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs auf die Schiedsunfähigkeit des Pflichtteilsanspruchs berufen habe.
Gleichwohl habe die Rechtsbeschwerde des Antragstellers deshalb keinen Erfolg, weil der Schiedsspruch gegen den innerstaatlichen verfahrensrechtlichen ordre public verstoße, da im schiedsrichterlichen Verfahren die Bestimmung des § 1048 Abs. 3 ZPO nicht beachtet worden und dadurch der Anspruch der Antragsgegnerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden sei. Insoweit sah der I. Zivilsenat des BGH gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO von einer Begründung der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

C. Kontext der Entscheidung

Mit der vorliegenden Entscheidung des I. Zivilsenats des BGH liegt erstmals eine höchstrichterliche Entscheidung vor, die sich eingehend mit der oben einleitend dargestellten Streitfrage befasst. Die Bedeutung der Entscheidung liegt deshalb nicht darin, dass sie sich auch mit den prozessualen Konsequenzen des Grundsatzes von Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens befasst und völlig zu Recht der Antragsgegnerin das Recht abspricht, sich auf die fehlende Schiedsfähigkeit des Pflichtteilsanspruchs zu berufen. Ihre Bedeutung liegt vielmehr darin, dass sie die rechtliche Unwirksamkeit einer Schiedsklausel feststellt, mit der in einer letztwilligen Verfügung die Zuständigkeit eines Schiedsgericht auch für Streitigkeiten über Pflichtteilsansprüche angeordnet wird. Dies entspricht der inzwischen h.M. in Rechtsprechung und Literatur. Zwar hatte in diesem Sinne bereits das BayObLG im Jahre 1956 entschieden (BayObLG, Beschl. v. 01.06.1956 – Breg 1 Z 21/56 – BayObLGZ 1956, 186 ff., 189, zit. nach Burchard, ZEV 2017, 308). Jahrzehntelang hat das Thema dann jedoch nicht mehr die Rechtsprechung, soweit sie veröffentlicht wurde, beschäftigt, bis das LG Heidelberg am 22.10.2013 (2 O 128/13 – ZEV 2014, 310) im gleichen Sinne, wenn auch mit zum Teil anderer Begründung entschied. Die Begründung des BGH stimmt im Wesentlichen mit derjenigen des vorinstanzlichen OLG München überein (OLG München, Beschl. v. 25.04.2016 – 34 Sch 12/15 – FamRZ 2016, 1310; ebenso OLG München, Beschl. v. 25.04.2016 im Parallelverfahren 34 Sch 13/15 Rn. 27 – SchiedsVZ 2016, 233 und sich anschließend LG München II, Urt. v. 24.02.2017 – 13 O 5937/15 – ZEV 2017, 274) und erscheint überzeugend (i.E. ebenso Leipold in: MünchKomm BGB, § 1937 Rn. 9; Müller-Christmann in: Bamberger/Roth, BGB, 3.Aufl. 2012, § 1937 Rn. 9; Wendt, ErbR 2016, 484; ausführlich zum Thema Lange, ZEV 2017, 1, 5 f. und Burchard, ZEV 2017, 308). Die Gegenansicht, die die Schiedsfähigkeit von Pflichtteilsansprüchen aufgrund einseitiger Anordnung des Erblassers auf der Grundlage eines rein prozessualen Verständnisses des § 1066 ZPO bejaht und argumentiert, der Erblasser müsse, weil er letztwillig ein Schiedsgericht für Streitigkeiten über die Erbfolge anordnen können, „erst recht“ dasselbe für Pflichtteilsstreitigkeiten anordnen können, verkennt die materiell-rechtliche Komponente des § 1066 ZPO, wie sie jetzt der BGH zutreffend hervorgehoben hat (vgl. hierzu insbesondere Lange, ZEV 2017, 1 und Burchard, ZEV 2017, 308).

D. Auswirkungen für die Praxis

Wer sich als Pflichtteilsberechtigter oder als dessen Rechtsanwalt mit einer sich auch auf Pflichtteilsansprüche erstreckenden Schiedsklausel in einer letztwilligen Verfügung konfrontiert sieht, kann sich nunmehr unter Berufung auf die Entscheidung des BGH auf die Unwirksamkeit dieser Klausel berufen. Rechtsanwälte müssen ihre Mandanten entsprechend beraten, aber auch dabei abwägen, ob im Einzelfall Gründe bestehen, die es opportun erscheinen lassen, die Unwirksamkeit der Klausel nicht zu rügen. Abzuwarten bleibt, ob in absehbarer Zeit der für Erbrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH Gelegenheit haben wird, sich zu der Thematik zu äußern. Klarzustellen ist abschließend – worauf auch der BGH zutreffend hingewiesen hat (vgl. Besprechungsentscheidung Rn. 41) –, dass Pflichtteilsansprüche nicht schlechthin schiedsunfähig sind; denn sie können ohne weiteres durch Parteivereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit unterworfen werden.

Zuweisung des Streits über Pflichtteilsanspruch an Schiedsgericht durch letztwillige Verfügung
Birgit OehlmannRechtsanwältin

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