Nachfolgend ein Beitrag vom 23.5.2017 von Herberger, jurisPR-FamR 10/2017 Anm. 6

Leitsätze

1. In Erbfällen nach dem 01.01.2010 erstreckt sich die Wirkung eines Zuwendungsverzichts grundsätzlich auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, und zwar selbst dann, wenn der Zuwendungsverzicht vor dem 01.01.2010 vereinbart worden ist.
2. Ergibt sich aus dem Inhalt der Urkunde – hier aufgrund einer notariellen Belehrung („Der amtierende Notar hat darauf hingewiesen, dass dieser Zuwendungsverzicht nicht gilt für die Abkömmlinge von … (dem Beteiligten zu 3), die im Erbvertrag für ihn als Ersatzerben berufen wurden. Der amtierende Notar empfiehlt deshalb den … (Eltern des Beteiligten zu 3), den Erbvertrag in der Weise zu ändern, dass … (der Beteiligte zu 3) nicht mehr zum Miterben nach dem Ableben des Längstlebenden … berufen ist.“) -, dass die Vertragsparteien bei Vertragsschluss davon ausgegangen sind, der Zuwendungsverzicht erstrecke sich nicht auf Abkömmlinge des Verzichtenden, so führt eine auf den Inhalt der Urkunde gestützte Auslegung des Willens der Beteiligten in der Regel dazu, dass die Vertragsparteien diese Rechtsfolge in ihren Willen aufgenommen haben.

A. Problemstellung

Wenn ein Abkömmling des Erblassers einen Zuwendungsverzicht nach § 2352 BGB erklärt, stellt sich die Frage, ob sich ein solcher Verzicht auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt. Seit dem 01.01.2010 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass ein Zuwendungsverzicht für die Abkömmlinge des Verzichtenden Wirkung entfaltet, sofern nicht ein anderes bestimmt wird. Der vorliegende Fall veranschaulicht, inwiefern diese neue Rechtslage bei der Auslegung eines Zuwendungsverzichts aus dem Jahre 1995 eine Rolle spielt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Erblasser und seine mittlerweile verstorbene Ehefrau hatten 1991 einen Erbvertrag (§ 1941 Abs. 1 BGB) geschlossen. Sie hatten sich jeweils gegenseitig zu Alleinerben bestimmt und ihre gemeinschaftlichen Kinder (bzw. ersatzweise deren Abkömmlinge nach Stämmen zu gleichen Teilen) zu einem Anteil von je 1/3 berufen.
Im Jahre 1995 haben die Eheleute ihrem Kind 3 ein Grundstück geschenkt. Kind 3 hat sich deshalb für die künftigen Nachlässe seiner Eltern vollständig abgefunden erklärt und auf seinen Pflichtteil (§ 2303 Abs. 1 BGB) und auf die Zuwendungen aus dem Erbvertrag von 1991 verzichtet (§ 2352 BGB). In den Schenkungsvertrag (§§ 516 Abs. 1, 518 Abs. 1 Satz 1 BGB) wurde der Hinweis des Notars aufgenommen, dass der Zuwendungsverzicht nicht für die Abkömmlinge des Kindes 3 gelte und den Eltern insofern geraten werde, den Erbvertrag so zu ändern, dass das Kind 3 nicht mehr zum Miterben nach dem Ableben des Längstlebenden berufen sei. Die Eltern haben den Erbvertrag aber nicht mehr geändert.
Kind 1 der Ehegatten hat im August 2014 einen Erbschein für sich und ihre Schwester (Kind 2) als Miterben zu je 1/2 beantragt. Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Nach dem Willen der Ehegatten sei eine Beteiligung ihrer Enkelkinder (die Kinder von Kind 3) an ihrem Erbe zu gleichen Teilen wie Kind 1 und Kind 2 gewollt. Das Nachlassgericht hatte nach Beweisaufnahme über den Willen der Eltern den Erbscheinsantrag zurückgewiesen.
Das OLG Düsseldorf hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen.
Nach Art. 229 § 36 EGBGB sei auf das Verfahren zur Erteilung von Erbscheinen nach einem Erblasser, der vor dem 17.08.2015 verstorben sei, das BGB und das FamFG in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. Danach seien die Vorschriften des „alten“ Rechts anzuwenden, weil der Erblasser bereits im Jahre 2010 verstorben sei.
Dem Erbvertrag nach seien alle drei Kinder des Erblassers zu je 1/3 Erben geworden, so das Gericht. Dabei könne das Kind 3 jedoch aufgrund seines Zuwendungsverzichts aus dem Jahre 1995 nicht als Erbe angesehen werden. Es stelle sich indessen die Frage, ob sich die Wirkung des Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstrecke.
Seit dem 01.01.2010 verweise § 2352 BGB (Verzicht auf Zuwendungen) nicht mehr nur auf die §§ 2347, 2348 BGB, sondern zusätzlich auf § 2349 BGB. In § 2349 BGB sei normiert, dass der Zuwendungsverzicht eines Abkömmlings auf das gesetzliche Erbrecht für seine Abkömmlinge wirke, sofern nicht „ein anderes“ bestimmt sei. Da sich im vorliegenden Fall aus dem Inhalt der Urkunde ergebe, dass die Vertragsparteien bei Vertragsabschluss davon ausgegangen seien, der Zuwendungsverzicht erstrecke sich nicht auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, sei „ein anderes“ i.S.v. § 2349 HS. 2 BGB bestimmt. Ein anderes Ergebnis ergebe sich auch dann nicht, wenn man den hypothetischen Willen der Beteiligten für entscheidungserheblich halte. Nach dieser Ansicht soll – selbst bei entsprechender Belehrung, die sich in der Urkunde niederschlage – durch ergänzende Vertragsauslegung geprüft werden, was die Beteiligten vereinbart hätten, wenn die Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge rechtlich möglich gewesen wäre.

C. Kontext der Entscheidung

Die Wirkung eines Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge des Verzichtenden hat die gerichtliche Praxis bereits in den letzten Jahren wiederholt beschäftigt (vgl. z.B. OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2015 – I-15 W 503/14, 15 W 503/14; OLG Hamm, Beschl. v. 02.12.2011 – I-15 W 603/10, 15 W 603/10).
Dem Fall des OLG Düsseldorf ähnlich gelagert ist der Fall des OLG Schleswig (OLG Schleswig, Beschl. v. 15.04.2014 – 3 Wx 93/13). Hier wie dort hat der Notar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Zuwendungsverzicht nicht auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt. Da die Vertragsparteien den Vertrag in Kenntnis dieses Hinweises des Notars abgeschlossen haben, muss der Schluss gezogen werden, die Vertragsparteien hätten übereinstimmend eine Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf die Abkömmlinge nicht gewollt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Wenn der Erblasser an seine Verfügung von Todes wegen gebunden ist, spielt die Frage der Wirkung eines Zuwendungsverzichts eine entscheidende Rolle. Eine solche Bindung besteht, wenn der Erblasser testierunfähig geworden ist (§ 2229 Abs. 4 BGB) oder in einem gemeinschaftlichen Testament eine wechselbezügliche Verfügung nicht mehr widerrufen kann (§ 2271 Abs. 2 Halbsatz 1 BGB) bzw. erbvertraglich gebunden ist (§ 2278 BGB).
Seit dem 01.01.2010 ist durch die Verweisung des § 2352 BGB (Verzicht auf Zuwendungen) auf § 2349 Satz 3 BGB klargestellt, dass der Zuwendungsverzicht eines Abkömmlings auf das gesetzliche Erbrecht in Bezug auf seine Abkömmlinge Wirkung entfaltet, sofern nicht ein anderes bestimmt ist. Deshalb sollte möglichst ausdrücklich eine andere Regelung bestimmt werden, wenn eine solche Erstreckung des Zuwendungsverzichts nicht gewollt ist. Sollte eine solche Erstreckung jedoch gewollt sein, muss darauf geachtet werden, dass keine Formulierungen gewählt werden, die als „ein anderes“ ausgelegt werden können. Da § 2352 Satz 3 BGB auf § 2347 BGB verweist, bedarf ein solcher Verzicht der notariellen Beurkundung. Deshalb ist die Entscheidung besonders für die notarielle Praxis und Anwälte bei diesbezüglichen Beratungsgesprächen relevant.