Nachfolgend ein Beitrag vom 11.4.2017 von Herberger, jurisPR-FamR 7/2017 Anm. 1, Rn. 10

Leitsatz

Urlaubsansprüche erlöschen nicht, wenn das Arbeitsverhältnis durch Tod des Arbeitnehmers endet. Der Urlaubsanspruch wandelt sich in einen Urlaubsabgeltungsanspruch des Erben um.

A. Problemstellung

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) dahingehend auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen der Urlaubsanspruch ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet (EuGH, Urt. v. 12.06.2014 – C-118/13 Rn. 30 „Bollacke“). Daraufhin hatte das BAG seine Rechtsprechung geändert und den Urlaubsabgeltungsanspruch als reinen Geldanspruch für vererbbar erklärt (BAG, Urt. v. 22.09.2015 – 9 AZR 170/14 Rn. 18).
Es fragt sich nun, wie zu verfahren ist, wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch zu Lebzeiten des Erblassers noch gar nicht entstanden ist. Das BAG ist bisher davon ausgegangen, dass der Urlaubsanspruch in einem solchen Falle untergeht und sich nicht in einen Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG umwandelt, der dann vererbt werden könnte (BAG, Urt. v. 12.03.2013 – 9 AZR 532/11 Rn. 12 mit Verweis auf BAG, Urt. v. 20.09.2011 – 9 AZR 416/10 Rn. 16). Mehrere Landesarbeitsgerichte – so auch das LArbG Mainz – weichen nun von dieser Rechtsprechung ab.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien – Arbeitgeber und Erbin des ehemaligen Arbeitnehmers – über einen Urlaubsabgeltungsanspruch. Da zu Lebzeiten des Arbeitnehmers noch kein Urlaubsabgeltungsanspruch bestand, stellte sich die Frage, ob sich der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers mit dessen Tod in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umgewandelt hat.
Das Arbeitsgericht hatte der Klage i.H.v. 4.717,60 Euro stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Gegen das Urteil legte der Arbeitgeber Berufung ein.
Das LArbG Mainz hat die Berufung zurückgewiesen.
Im Ergebnis habe die Erbin des ehemaligen Arbeitnehmers einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung.
Das LArbG Mainz zieht die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Bollacke“ heran und legt § 7 Abs. 4 BUrlG unionsrechtskonform aus. Auf diese Weise kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch allein von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und einem offenen Urlaubsanspruch abhängig ist. Weitere Voraussetzungen seien nicht erforderlich.
Dagegen könne nicht angeführt werden, dass im Rahmen der Universalsukzession nach § 1922 Abs. 1 BGB nur bestehende Ansprüche vererbt werden könnten. Zwar sei der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht entstanden. Denn der Arbeitnehmer sei während des bestehenden Arbeitsverhältnisses verstorben. Der EuGH habe aber in der Rechtssache „Bollacke“ ausgeführt, dass in dem Urlaubsanspruch bereits der Abgeltungsanspruch enthalten sei.
Das Recht auf Urlaub, das dem Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis zustehe, gehe im Zeitpunkt des Erbfalles auf den Erben über. Dabei wandele es sich in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um, da der Urlaubsanspruch selbst höchstpersönlicher Natur sei.

C. Kontext der Entscheidung

Die Fragestellung, die dem LArbG Mainz vorlag, beschäftigte bereits in der Vergangenheit die Gerichte. So hat das ArbG Berlin mit Urteil vom 07.10.2015 (56 Ca 10968/15 Rn. 17) entschieden, dass ein Urlaubsanspruch mit dem Tod des Arbeitnehmers nicht untergeht, sondern sich in einen Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG umwandelt, der von den Erben geltend gemacht werden kann. Dieser Ansicht sind auch das LArbG Düsseldorf (LArbG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015 – 3 Sa 21/15 Rn. 21; LArbG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2015 – 11 Sa 537/15 Rn. 39) und das LArbG Köln (LArbG Köln, Urt. v. 14.07.2016 – 8 Sa 324/16 Rn. 33). Für Beamte haben das VG Kassel mit Urteil vom 10.03.2015 (1 K 1994/14.KS Rn. 22) und das VG Karlsruhe mit Urteil vom 16.07.2015 (3 K 24/15 Rn. 18) in gleicher Weise entschieden.
Die Landesarbeitsgerichte (LArbG Köln, Urt. v. 14.07.2016 – 8 Sa 324/16; LArbG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015 – 3 Sa 21/15; LArbG Düsseldorf, Urt. v. 29.10.2015 – 11 Sa 537/15) haben die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Daraufhin hat das BAG den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV angerufen (BAG, EuGH-Vorlage v. 18.10.2016 – 9 AZR 196/16 (A); BAG, EuGH-Vorlage v. 18.10.2016 – 9 AZR 45/16 (A)).
Der EuGH wird nun zu entscheiden haben, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRCh („gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen“) dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod noch zustehenden Mindestjahresurlaub einräumt, was nach § 7 Abs. 4 BUrlG i.V.m. § 1922 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist. Sollte der EuGH diese Frage bejahen, so will das BAG zusätzlich wissen, ob dies auch dann gilt, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen zwei Privatpersonen bestand.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der bestehende Schwebezustand macht die Beratung in der Praxis schwierig. Eine Klageerhebung ist mit einem Kostenrisiko verbunden. Hinzu kommt die schwierige Frage, ab wann in dieser Konstellation unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts der Zumutbarkeit der Rechtsverfolgung mit einer Verjährung zu rechnen ist. Über diese Risikolage ist der Mandant aufzuklären.