Nachfolgend ein Beitrag vom 15.8.2017 von Adamus, jurisPR-FamR 16/2017 Anm. 8

Leitsätze

1. Die Entscheidung des Rechtspflegers ist entsprechend § 8 Abs. 3 RPflG nicht unwirksam, wenn er die Angelegenheit entgegen § 19 Abs. 2 RPflG und entgegen den jeweiligen landesrechtlichen Normen nicht dem Richter zur weiteren Bearbeitung vorlegt.
2. Deutsche Nachlassgerichte sind für die Erteilung eines Erbscheins nicht international zuständig, wenn der Erblasser unter Geltung der EuErbVO verstorben ist und seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsstaat der EuErbVO hatte.

A. Problemstellung

Ist ein deutsches Nachlassgericht für die Erteilung eines Erbscheins international zuständig, wenn der Erblasser im Ausland verstorben ist?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der deutsche Erblasser ist in Spanien verstorben. Die Beteiligte zu 1. ist seine Ehefrau, die Beteiligten zu 2. und 3. sind Kinder aus früherer Ehe des Erblassers. Mit privatschriftlichem Testament vom 16.12.2010 widerrief der Erblasser ein früheres Testament und setzte die Beteiligte zu 1. als alleinige Erbin ein. Am 19.03.2015 beantragte die Beteiligte zu 1. beim Familiengericht die Scheidung. In dem Antragschreiben ist vorgetragen, dass die Ehegatten seit zwei Jahren getrennt leben und die Trennung durch Auszug des Erblassers nach Spanien erfolgte. Der Erblasser meldete sich zum Scheidungsverfahren aus Spanien.
Die Beteiligte zu 1. stellte beim Nachlassgericht einen Erbscheinsantrag, der sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisen soll. Die Beteiligten zu 2. und 3. sind dem mit der Begründung entgegengetreten, dass der Erblasser seinen Wohnsitz in Spanien hatte und spanisches Recht Anwendung finde. Die Nachlassrechtspflegerin wies den Erbscheinsantrag zurück, da die örtliche Zuständigkeit nicht gegeben sei. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. ist damit begründet worden, dass der Erblasser seit der Trennung nicht immer in Spanien gelebt habe. Er sei von Weihnachten 2013 bis Ende Februar 2014, August bis Mitte September 2014 und Januar, Februar 2015 in Deutschland gewesen. Die Rechtspflegerin half der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
Das OLG Hamburg hat die Zurückweisung dahin abgeändert, dass das Nachlassgericht für die Erteilung des Erbscheins (international) nicht zuständig ist.
Grundsätzlich sei die Erteilung von Erbscheinen dem Richter vorbehalten, sofern eine Verfügung von Todes wegen vorliege. Hamburg habe allerdings von der Regelung des § 19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG Gebrauch gemacht und durch RechtsVO vom 08.11.2001 Richtergeschäfte (u.a. § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG) dem Rechtspfleger übertragen. Nach § 1 Abs. 2 der VO hätte der Rechtspfleger bei diesen übertragenen Geschäften das Verfahren aber dem Richter zur weiteren Bearbeitung vorlegen sollen, denn vorliegend seien Einwände gegen die beantragte Entscheidung erhoben worden. Die Rechtspflegerin sei somit zum Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht zuständig gewesen. Jedoch führe der Verstoß gegen die Vorlagepflicht an den Richter nicht zur Unwirksamkeit der erlassenen Entscheidung, denn § 8 Abs. 3 RPflG bestimme, dass ein Geschäft nicht deswegen unwirksam sei, weil es der Rechtspfleger entgegen § 5 Absatz 1 nicht dem Richter vorgelegt habe. Entsprechendes müsse gelten, wenn der Rechtspfleger entgegen § 1 Abs. 2 der Hamburgischen Verordnung zur Übertragung richterlicher Aufgaben auf den Rechtspfleger die Sache nicht dem Richter vorlege.
Das Amtsgericht sei für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1. beantragten Erbscheins jedoch international nicht zuständig. Der Erblasser sei im September 2015 verstorben. Damit sei die am 17.08.2015 in Kraft getretene EUErbVO anzuwenden.
Gemäß Art. 4 EUErbVO seien für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Entscheidung im Sinne dieser Verordnung sei gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. g jede von einem Gericht eines Mitgliedstaates in einer Erbsache erlassenen Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung, somit auch ein Erbschein.
Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes in Art. 4 EUErbVO müsse in der gesamten Europäischen Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten (vgl. EuGH, Urt. v. 02.04.2009 – C-523/07 – FamRZ 2009, 843, 845). Hierbei sei Erwägungsgrund Nr. 23 der EUErbVO bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts heranzuziehen und eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen. Maßgeblich seien die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe.
Im Scheidungsverfahren habe die Beteiligte zu 1. angegeben, dass der Erblasser seit zwei Jahren in Spanien wohne. Der Erblasser habe sich aus Spanien gemeldet und als Anschrift seine Adresse in Spanien angegeben. Auch die Übrigen Umstände (Überweisung der Rente nach Spanien) zeichnen hier ein eindeutiges Bild, so dass feststehe, dass der Erblasser bereits lange Zeit vor seinem Tod seinen Daseinsmittelpunkt und damit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien gehabt habe. Der zeitweilige Aufenthalt in Hamburg ändere hieran nichts. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass der Erblasser gemäß Art. 22 Abs. 2 EUErbVO konkludent mit den Bestimmungen seines Testamentes eine Rechtswahl hinsichtlich des deutschen Rechts vorgenommen hätte, würde ein deutsches Nachlassgericht nur unter den Voraussetzungen des Art. 7 EUErbVO zuständig sein können. Diese seien vorliegend nicht erfüllt, da die Beteiligten zu 2.und 3. die Unzuständigkeit des deutschen Nachlassgerichts eingewandt haben.
Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. sei jedoch nicht zurückzuweisen. Vielmehr habe sich gemäß Art. 15 EUErbVO das Gericht eines Mitgliedstaates, das in einer Erbschaftssache angerufen werde, für die es nicht zuständig sei, von Amts wegen für unzuständig zu erklären.

C. Kontext der Entscheidung

Das OLG Hamburg hat sich vorliegend zu Fragen der funktionellen Zuständigkeit des Rechtspflegers und zur internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts bei Anwendung der EUErbVO geäußert.
Hamburg hat gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 5 RPflG, § 1 RPflVO Hamburg vom 08.11.2001 in der Fassung vom 13.11.2015 u.a. das Richtergeschäft des § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG (Erteilung von Erbscheinen, wenn eine Verfügung von Todes wegen vorliegt oder ausländisches Recht in Betracht kommt) dem Rechtspfleger übertragen. Aus § 19 Abs. 2 RPflG, § 1 Abs. 2 RPflV HA ergibt sich aber, dass der Rechtspfleger nur in nichtstreitigen Fällen entscheiden soll. Streitige Entscheidungen sollen dem Richter vorbehalten bleiben (vgl. BT-Drs. 15/1508, S. 33 und 45). Im vorliegenden Fall handelte es sich um eine streitige Sache, so dass der Richter funktionell zuständig gewesen wäre. Das OLG Hamburg hat deshalb § 8 Abs. 3 RPflG analog herangezogen, wonach die Entscheidung trotz Verletzung der Vorlagepflicht aus § 5 Abs. 1 RPflG wirksam bleibt. Eine Analogie erscheint hier naheliegend; jedenfalls ist die Interessenlage in beiden Fällen gleich. Fraglich ist aber, ob eine planwidrige Gesetzlücke vorliegt, denn § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG lautet: „Hat der Rechtspfleger ein Geschäft des Richters wahrgenommen, das ihm nach diesem Gesetz weder übertragen ist noch übertragen werden kann, so ist das Geschäft unwirksam“. Deutet man § 19 Abs. 2 RPflG, § 1 Abs. 2 RPflV HA dahin, dass der Rechtspfleger über Erbscheinsanträge in streitigen Testamentsangelegenheiten von Gesetzes wegen in keinem Fall entscheiden kann, hätte sich der Gesetzgeber dafür entschieden auch in vergleichbaren Fällen von der Unwirksamkeit der Entscheidung des Rechtspflegers auszugehen. Es läge dann keine Gesetzeslücke vor. Im Übrigen ist mit dem OLG München anzunehmen, dass in dem Fall der Rechtspflegerentscheidung, trotz gesetzlicher Zuständigkeit des Richters, die Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Nachlassgericht zurückzugeben und dem Nachlassrichter vorzulegen wäre (OLG München, Beschl. v. 13.09.2016 – 31 Wx 99/16 – Rpfleger 2017, 16).
Insoweit ist der Ausspruch nach Art 15 EUErbVO in Falle der internationalen Unzuständigkeit dem Nachlassrichter erster Instanz vorbehalten, wenn die Erteilung eines Erbscheins eine „Entscheidung“ in Erbsachen gemäß Art 4 EUErbVO ist. Das OLG Hamburg hat dies ohne weiteres angenommen. Dies ist aber fraglich, denn der deutsche Gesetzgeber hat mit dem IntErbRVG als Durchführungsbestimmung zur EUErbVO unter Art. 11 (Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) nur die Vorschrift des § 343 FamFG zur örtlichen Zuständigkeit geändert, ohne zugleich eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit in Erbsachen zu schaffen (hierzu KG Berlin, EuGH-Vorlage v. 10.01.2017 – 6 W 125/16 – FamRZ 2017, 564) In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 04.03.2015 heißt es zur internationalen Zuständigkeit in Erbsachen (BT-Drs. 18/4201, S. 59): „Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit bleibt es mangels einer besonderen Bestimmung in den §§ 98 bis 104 FamFG bei der Anwendung von § 105 FamFG. Danach kommt es für die internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte allein darauf an, ob die örtliche Zuständigkeit nach § 343 FamFG gegeben ist. Betroffen hiervon sind diejenigen erbrechtlichen Verfahren mit Auslandsberührung, die nicht vom Zuständigkeitsregime der ErbVO erfasst werden …“. Dies sind alle Verfahren, die keine Entscheidungen i.S.v. Art. 4 EUErbVO (Art. 3 (1) g EUErbVO) darstellen. Entscheidungen sind nach Art. 3 (2) EUErbVO solche, die in Rechtskraft erwachsen können, was für Erbscheine nicht zutrifft. Mankowski (FamRZ 2017, 566) sieht in seiner Anmerkung zur EuGH-Vorlage des KG Berlin vom 10.01.2017 (6 W 125/16) hier den Fehler in der sprachlichen Ungenauigkeit der Übersetzung des Art. 4 EUErbVO: Statt „Entscheidung“ hätte es „Verfahren“ heißen müssen, was auch dem Sinn und Zweck der EUErbVO – Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht – entspräche.
Im Gesetzgebungsverfahren war für die erbrechtliche Verfahren (zum Gesetzgebungsverfahren KG Berlin, a.a.O.) noch eine Verweisung auf die Zuständigkeiten nach Kap. II der EuErbVO vorgesehen. Eine solche Verweisung wurde offenbar nach Intervention verschiedener Interessenverbände nicht in den Gesetzentwurf übernommen, weil ein nationaler Erbschein dann nur noch in den Fällen beantragt werden könnte, in denen der Erblasser, selbst wenn er deutscher Staatsangehöriger war, seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Soweit § 343 Abs. 1 FamFG durch das IntErbRVG eine Änderung erfahren hat, betrifft dies nun lediglich die Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit, die sich jetzt auch nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers richtet. Im Ergebnis ist daher anzunehmen, dass nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers auch im zeitlichen Geltungsbereich der EuErbVO die deutschen Nachlassgerichte weiterhin nach den Vorschriften des § 105 FamFG international zuständig sind für die Erteilung eines nationalen Erbscheines, wenn Nachlassvermögen im Inland vorhanden ist, selbst wenn der Erblasser – wie vorliegend – seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland hatte (vgl. Müller-Lukoschek, Die neue EuErbVO, 2. Aufl., § 2 D Rn. 28). Weil die Vorschriften der EuErbVO als Europarecht aber deutsches Recht verdrängen (Anwendungsvorrang gegenüber dem autonomen Recht der Mitgliedsstaaten – Art. 288 Abs. 2 AEUV; § 97 Abs. 1 Satz 2 FamFG), mit der Folge, dass die Vorschriften des nationalen Rechts nicht angewendet werden dürfen, wenn sie gegen höherrangiges Europarecht verstoßen, hat das KG Berlin an den EuGH vorgelegt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Hamburg ist aus pragmatischen Gründen reizvoll. Im Ergebnis ist die Entscheidung zutreffend, wenn die internationale Zuständigkeit sich nach europäischem Recht, Art. 4 EUErbVO, und nicht nach den §§ 105, 343 Abs. 2 FamFG bestimmt. Die Vorlage des KG Berlin an den EuGH wird hier hoffentlich zeitnah Klarheit schaffen. Bis dahin kann sich die Praxis entweder dafür entscheiden, die §§ 105, 343 Abs. 2 FamFG anzuwenden oder das Verfahren im Hinblick auf die Zuständigkeitsvorfrage auszusetzen.
Die Entscheidung des OLG Hamburg hat daher schwerlich Modellcharakter. Auch hinsichtlich der entsprechenden Anwendung des § 8 Abs. 3 RPflG auf die dem Richter vorbehaltene Entscheidung ist die Argumentation nicht vollends überzeugend.