Nachfolgend ein Beitrag vom 24.5.2016 von Goldschmitt, jurisPR-FamR 11/2016 Anm. 1

Leitsatz

Im Verfahren betreffend die Erteilung eines Erbscheins ist das Nachlassgericht an ein rechtskräftiges Feststellungsurteil des Prozessgerichts gebunden, das zwischen den Beteiligten des Erbscheinserteilungsverfahrens ergangen ist. Dies gilt auch, wenn es sich dabei um ein Versäumnisurteil nach § 331 ZPO handelt.

A. Problemstellung

Stehen sich die Beteiligten eines Erbscheinserteilungsverfahrens zugleich als Parteien eines Zivilprozesses über die Feststellung des Erbrechts gegenüber, so stellt sich die Frage, ob die rechtskräftige Entscheidung des Prozessgerichts das Nachlassgericht bindet. Das OLG Frankfurt hat dies bejaht, auch für den Fall, dass es sich bei der Entscheidung im Zivilprozess um ein rechtskräftiges Versäumnisurteil handelt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Aus der Ehe der Erblasserin mit ihrem bereits vorverstorbenen Mann sind drei Kinder hervorgegangen: die Beteiligten zu 1) und 2) sowie eine weitere bereits vorverstorbene Tochter. Diese wiederum hat zwei Kinder, die Beteiligten zu 3) und 4), mithin Enkelkinder der Erblasserin. Gemeinsam mit ihrem Ehemann errichtete die Erblasserin ein gemeinschaftliches öffentliches Testament, in dem sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben und – soweit der überlebende Ehegatte keine anderweitigen Verfügungen trifft – den Beteiligen zu 2) zu ½ sowie die Beteiligten zu 3) und 4) zu jeweils ¼ zu Schlusserben einsetzte. Nach dem Tod ihres Ehemannes errichtete die Erblasserin ein weiteres notarielles Testament, in dem sie die Beteiligten zu 1) und 2) zu je 1/3 und die Beteiligten zu 3) und 4) zu je 1/6 als ihre Erben einsetzte.
Die Beteiligten zu 2) bis 4) beantragten nach dem Tod der Erblasserin die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie als Erben nach dem gemeinschaftlichen notariellen Testament der Ehegatten ausweist. Das spätere notarielle Testament der Erblasserin sei wegen Testierunfähigkeit der Erblasserin infolge einer eingetretenen senilen Demenz unwirksam. Diesem Antrag trat der Beteiligte zu 1) entgegen.
Das Nachlassgericht, AG Fürth (Odenwald), schloss sich der Ansicht der Beteiligten zu 2) bis 4) an. Es erachtete die zur Erteilung des von den Beteiligten zu 2) bis 4) beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt und stellte die Erteilung des Erbscheines bis zur Rechtskraft zurück. Gegen diesen Beschluss legte der Beteiligte zu 1) Beschwerde zum OLG Frankfurt ein. Dieses setzte das Beschwerdeverfahren aus wichtigem Grund gemäß § 21 Abs. 1 FamFG wegen Vorgreiflichkeit aus, da die Beteiligten zu 2) bis 4) zwischenzeitlich beim LG Darmstadt gegen den Beteiligten zu 1) Klage auf Feststellung ihres Erbrechts nach der Erblasserin erhoben hatten. Das Verfahren vor dem Landgericht wurde durch ein rechtskräftiges Versäumnisurteil gegen den Beteiligten zu 1) beendet, in dem das Erbrecht der Beteiligten zu 2) bis 4), wie beantragt, festgestellt wurde. Daraufhin wies das OLG Frankfurt im Nachlassverfahren die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1) als unbegründet zurück.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts bindet das zwischenzeitlich im Zivilprozess ergangene Versäumnisurteil des Landgerichts das Nachlassgericht und damit auch das Beschwerdegericht als weitere Tatsacheninstanz im Erbscheinserteilungsverfahren, sofern – wie vorliegend – die Parteien des Zivilprozesses mit den an dem Erbscheinsverfahren beteiligten Erbprätendenten identisch seien. Dies ergebe sich zum einen bereits aus dem Institut der Rechtskraft selbst. Dieses gebiete es, dass ein rechtskräftiges Urteil eines Prozessgerichts, soweit die persönlichen und sachlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft (§§ 322, 325 ZPO) reichten, auch Gerichte nach dem Verfahren nach dem FamFG binde. Auch entspreche dies der gesetzlichen Wertung, die in einer Reihe von Vorschriften, so z.B. §§ 2362, 2365 BGB und § 35 GBO, zum Ausdruck komme. Diesen Normen sei zu entnehmen, dass die Entscheidung des Nachlassgerichts nicht in Rechtskraft erwachse; im Gegensatz hierzu jedoch das Feststellungsurteil des Prozessgerichts. Der Erbschein begründe vielmehr lediglich die Vermutung der Richtigkeit des darin bekundeten Erbrechts. Etwas anderes könne auch dann nicht gelten, wenn es sich bei dem das Erbrecht feststellenden Urteil um ein Versäumnisurteil handle.

C. Kontext der Entscheidung

Das OLG Frankfurt schloss sich der heute in Rechtsprechung und Literatur allgemein vertretenen Ansicht an, dass ein rechtskräftiges Feststellungsurteil im Zivilprozess gegenüber der Entscheidung des Nachlassgerichts im Erbscheinserteilungsverfahren Vorrang genießt. Sofern die Parteien des Zivilprozesses mit den im Nachlassverfahren beteiligten Erbprätendenten identisch sind, ist das Nachlassgericht an die rechtskräftige Entscheidung des Prozessgerichts gebunden. Allgemeine Meinung ist es ebenso, dass eine solche Bindungswirkung dann entfällt, wenn im Erbscheinsverfahren nachträglich Umstände bekannt werden, die dem Prozessgericht unbekannt waren, und die Berufung auf das Urteil eine sittenwidrige oder arglistige Ausnutzung der Rechtskraft bedeuten würde (vgl. BayObLG, Beschl. v. 30.04.1998 – 1Z BR 187/97; Herzog in: Staudinger, BGB, 2010, § 2359 Rn. 24; J. Lange in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl., § 2359 Rn. 8; Mayer in: MünchKomm BGB, 6. Aufl., § 2359 Rn. 32 ff., Weidlich in: Palandt, BGB, 74. Aufl., § 2353 Rn. 23). Hierfür sah das Oberlandesgericht im zu entscheidenden Fall jedoch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte.
Nicht einheitlich wird hingegen die Bindungswirkung gesehen, sofern es sich um ein Versäumnisurteil handelt. Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass ein solches Versäumnisurteil dem Nachlassgericht nicht die erforderliche Überzeugung nach § 2359 BGB verschaffen könne, da es das Erbrecht mangels Gestaltungswirkung nicht ändern könne. Gleiches gelte für Anerkenntnis- und Verzichtsurteile, sowie Urteile, die unter Zurückweisung verspäteten Sachvortrages (§ 296 ZPO) ergangen sind (Zimmermann, ZEV 2010, 457, 461). Ebenso könne dadurch mittelbar eine Einflussmöglichkeit der Beteiligten geschaffen werden, dass ein ihnen genehmer Erbschein erteilt werde (Mayer in: MünchKomm BGB, § 2359 Rn. 38).
Andere Stimmen in der Literatur sowie das OLG Frankfurt differenzieren nicht nach der Art des Urteils und sehen auch Versäumnisurteile von der Bindungswirkung umfasst. Denn der Anknüpfungspunkt für die Bindungswirkung eines Feststellungsurteils des Prozessgerichts über das Erbrecht sei formeller Natur. Die Bindungswirkung, die an die materielle Rechtskraft des prozessrechtlichen Urteils anknüpft, könne nicht in einer von der Zivilprozessordnung nicht vorgesehenen Weise nach Art des Urteils relativiert werden (vgl. J. Lange in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, § 2359 Rn. 7; Siegmann/Höger in: Bamberger/Roth, BGB, 38. Aufl., § 2359 Rn. 2; Kuchinke/Lange, Erbrecht, § 39 III). Zur Vermeidung von unerträglichen Ergebnissen hinsichtlich der materiellen Gerechtigkeit genüge es, bei erkannter Unrichtigkeit des Urteils eine Bindungswirkung unter dem Gesichtspunkt der Arglist und Sittenwidrigkeit entfallen zu lassen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das OLG Frankfurt schließt sich der bislang herrschenden Meinung in der Literatur an und sorgt so für Rechtsklarheit. Abzuwarten bleibt, ob sich diese Rechtsprechung allgemein durchsetzt. Denn es ist m.E. zweifelhaft, ob tatsächlich die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Versäumnisurteils, in dem die erbrechtliche Lage allein anhand der Schlüssigkeit des klägerischen Vortrags geprüft wurde, mit dem Amtsermittlungsgrundsatz des Nachlassverfahrens in Einklang zu bringen ist.
Unabhängig hiervon ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf die tägliche Praxis große Auswirkungen haben wird. Zwar ist es prozessrechtlich möglich, dass Erbprätendenten sowohl ein Erbscheinserteilungsverfahren vor dem Nachlassgericht als auch ein Feststellungsverfahren vor dem Zivilgericht führen. Die Praxis zeigt jedoch, dass es die Ausnahme ist, diese Verfahren parallel zu betreiben. Dies wohl aus Kostengründen. So gibt es jedes Jahr mehrere hunderttausend Erbscheinsverfahren, wohingegen Erbenfeststellungsklagen selten sind. Grund hierfür dürfte sein, dass alleine unter Vorlage eines Erbscheins (oder eines notariellen Testaments nebst Eröffnungsniederschrift des Nachlassgerichts) die Bank oder Versicherung ein Guthaben ausbezahlt oder das Grundbuch oder Handelsregister eine Umschreibung vornimmt. Ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hingegen taugt hier nicht, da es allein im Verhältnis der Parteien im Prozess besagt, wer Erbe ist, nicht hingegen im Bezug zu Dritten (vgl. auch Zimmermann, ZEV 2010, 457). Die zusätzliche Konstellation, dass sich ein Beteiligter im Erbscheinsverfahren verteidigt, ja sogar Beschwerde einlegt, und im Feststellungsprozess sodann ein rechtskräftiges Versäumnisurteil gegen sich ergehen lässt, dürfte eine auf wenige Fälle beschränkte Ausnahme bleiben.
Zu beachten ist jedoch in jedem Fall, dass auch ein rechtskräftiges Versäumnisurteil über das Erbrecht im Erbscheinverfahren Bindungswirkung nur insoweit entfalten kann, soweit die (materiell) Beteiligten eines Nachlassverfahrens und die Prozessparteien identisch sind.