Nachfolgend ein Beitrag vom 6.12.2016 von Herberger, jurisPR-FamR 25/2016 Anm. 2
Leitsatz
Zur Auslegung eines Testaments, in dem die Erblasserin über zwei Gebäude, die in einem ungeteilten Grundstück errichtet wurden, verfügt hat und zudem nur Einzelnen mit einem Gebäude bedachten den Rest ihres Vermögen zuwendet, das nach Auskehrung von Geldbeträgen verbleibt.
A. Problemstellung
Wenn Laien ohne juristische Beratung ein eigenhändiges Testament verfassen, stellen sich häufig Auslegungsfragen. Oft ist der Unterschied zwischen „vererben“ und „vermachen“ nicht bekannt, sodass bei der Ermittlung des Erblasserwillens nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks gehaftet werden darf, sondern der wirkliche Wille des Erblassers erforscht werden muss (§ 133 BGB).
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Erblasserin hatte ein eigenhändiges Testament hinterlassen, in dem sie dem Ehepaar A ihr Haus mit Inventar (Wert des Gebäudes 173.000 Euro) sowie ihr restliches, testamentarisch nicht verteiltes Vermögen (205.000 Euro) „vererbte“. Dem Ehepaar B hatte sie ein Haus „vererbt“, das einen Wert von 70.000 Euro aufweist. Daneben hatte sie einem Dutzend Personen jeweils zwischen 5.000 Euro und 20.000 Euro „vererbt“.
Während die Eheleute A der Ansicht waren, dass sie Miterben zu je 1/2 seien, vertraten die Eheleute B die Auffassung, dass sie zusammen mit den Eheleuten A als Erben zu je 1/4 berufen seien.
Das Nachlassgericht hatte die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Eheleute zu je 1/2 angekündigt und die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses ausgesetzt.
Das OLG München hat die Beschwerde der Eheleute B gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat zunächst auf den von der Erblasserin gewählten Wortlaut abgestellt und erläutert, dass dieser nicht als eindeutig angesehen werden könne, weil die Erblasserin fast durchgängig von „erben“ gesprochen, aber niemanden ausdrücklich als Erben bestimmt habe. In Bezug auf die Zuwendung der Geldbeträge handele es sich trotz Verwendung des Verbes „erben“ in der Sache um Vermächtnisse. Es sei nämlich anerkannt, dass von einem Vermächtnis auszugehen sei, wenn in einem Testament allein konkrete, nicht nahezu das gesamte Vermögen ausmachende Geldbeträge zugewendet würden. Dafür spreche im vorliegenden Fall vor allem, dass nicht angenommen werden könne, die Erblasserin wolle ein gutes Dutzend Begünstigte dinglich an ihrem Nachlass teilhaben lassen. In diese Richtung deute auch, dass sich das Sparguthaben der Erblasserin auf 330.000 Euro beliefe, die Geldzuwendungen aber nur i.H.v. 125.000 Euro erfolgten.
Besonders ausführlich hat sich das Gericht mit der Frage beschäftigt, wie die rechtliche Position der Eheleute A und der Eheleute B zu bewerten sei. Die Zuwendung eines Grundstücks könne eine Erbeinsetzung darstellen, wenn es sich um einen wertmäßig wesentlichen Nachlassgegenstand handele. Der Begünstigte könne sogar ohne als „Erbe“ bezeichnet zu sein als Alleinerbe eingesetzt sein, wenn das ihm zugewendete Grundstück einen wesentlichen Nachlasswert ausmache.
Insofern könne eine Alleinerbeneinsetzung der Eheleute B nicht angenommen werden, weil der Wert der Zuwendung 13% des Gesamtnachlasses nicht übersteige. Für eine Miterbenstellung der Eheleute A spreche zunächst, dass die Erblasserin das Ehepaar A nach dem äußeren Aufbau ihres Testaments an die Spitze gesetzt habe. Hinzu komme, dass die Erblasserin dem Ehepaar A am Ende des Testaments den Rest ihres Vermögens zuwende. Das deute in die Richtung, dass die Erblasserin die Eheleute A als ihre Rechtsnachfolger in wirtschaftlicher Hinsicht betrachte. Dafür spreche weiterhin, dass die Erblasserin den Eheleuten A den weitaus größten Teil ihres Vermögens zugewendet habe, nämlich nicht nur ein Haus im Wert von 173.000 Euro, sondern zudem ihr restliches Sparvermögen, das sich auf 205.000 Euro beläuft und damit einen Wert aufweise, das den Wert jeder einzelnen Zuwendung erheblich übersteige.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG München steht im Einklang mit § 2087 BGB. Nach § 2087 Abs. 1 BGB ist eine Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen, wenn der Erblasser sein Vermögen oder einen Bruchteil davon dem Bedachten zuwendet, auch wenn er den Bedachten nicht als Erbe bezeichnet. Nach § 2087 Abs. 2 BGB ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass der Bedachte, dem nur einzelne Gegenstände zugewendet werden, Erbe sein soll, selbst wenn er so bezeichnet wird. Es ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 2087 BGB um eine Zweifelsregelung handelt, die das Gericht in Bezug auf die Vermächtnisse nicht heranziehen will, weil es keine Zweifel gebe. Der Erblasserwille lasse sich insofern bereits im Wege der allgemeinen erbrechtlichen Auslegung klären.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Ausführungen des OLG München geben klare Linien für die Auslegung von Testamenten vor, in denen die Bedeutung der Worte „erben“ bzw. „vermachen“ eine Rolle spielt. Will man dennoch mögliche Unwägbarkeiten der Auslegung vermeiden, empfiehlt es sich, präzise zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis zu entscheiden. Es mag dies dem anwaltlichen Praktiker wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen. Indessen sollte man bei der Beratung von Erblassern, die beabsichtigen, ein eigenhändiges Testament zu verfassen, auch auf solche Selbstverständlichkeiten achten.
In der umgekehrten Beratungssituation, wenn potentielle Erben ein eigenhändiges Testament vorlegen, sollten – da der Vermächtnisanspruch nach § 195 BGB innerhalb von drei Jahren verjährt – in Zweifelsfällen frühzeitig verjährungshemmende Maßnahmen in Betracht gezogen werden.