LG Landshut, Urteil vom 04. März 2016 – 54 O 2287/12 –, juris

Tatbestand

Der Kläger macht Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Tod seines Vaters gegen seine Brüder, die beiden Beklagten, geltend. Der Kläger ist der Bruder der beiden Beklagten. Die Vater der Parteien, Herr M. senior (im Folgenden Erblasser) beerbte seine Ehefrau nach deren Tod am 14.06.1997 als Alleinerbe. Nach dem Tod der Mutter machte der Kläger gegen seinen Vater Pflichtteilsansprüche gerichtlich geltend. Dieses Verfahren war vor dem Landgericht Landshut unter dem Aktenzeichen 54 O 1453/00 anhängig. In diesem Verfahren einigten sich die Parteien dahingehend, dass der Kläger (auch wegen anderer Ansprüche) vom Vater 250.000,- DM erhält. Damit sollten sämtliche erbrechtlichen Ansprüche nach dem Tod der Mutter des Klägers abgegolten sein. Ausdrücklich unberührt blieben erbrechtliche Ansprüche des Klägers nach dem Tod des Vaters. Bereits mit notariellem Testament vom 10.06.1999 (Anlage K 2) setzte der Erblasser die beiden Beklagten zu gleichen Anteilen als Erben ein. Gleichzeitig entzog er dem Kläger den Pflichtteil und begründete dies mit einer Körperverletzung am 16.08.1998 gegen 20 Uhr. Am 09.04.2004 errichtete der Erblasser ein erneutes notarielles Testament (Anlage K 3), in welchem er das Testament vom 10.06.1999 ausdrücklich aufrecht erhielt und die Pflichtteilsentziehung gegenüber dem Kläger wiederholte und auf eine dem Testament beiliegende Strafanzeige verwies. Bereits am 19.04.2004 errichtete der Erblasser ein weiteres notarielles Testament (Anlage K 4), in welchem er die beiden vorhergehenden Testamente ausdrücklich aufrecht erhielt und den Sachverhalt für die Pflichtteilsentziehung gegenüber dem Kläger weiter präzisierte. Des Weiteren enthielt dieses Testament folgenden Passus:

„Bestätigung

Ich bestätige, dass ich von meinen Söhnen – und – M. je einen Betrag von 13.000,- € erhalten habe darlehensweise, damit ich die Summe von 250.000,- DM aus dem gerichtlichen Vergleich vom 19.12.2001 an meinen Sohn – habe bezahlen können. Diese Darlehen sind aus dem Nachlass zurückzuzahlen.“

Mit notariellem Vertrag vom 13.05.2002 übertrug der Erblasser dem Beklagten zu 1) den landwirtschaftlichen Besitz gegen Einräumung eines Leibgedings. Im Gegenzug verzichtete der Beklagte zu 1) auf sein Pflichtteilsrecht nach seinem Vater und nach der Mutter. Dem Beklagten zu 2) übertrug er mit gesondertem Vertrag vom gleichen Tage ein Haus mitsamt Grund über 680 qm, welcher aus einer Teilfläche des landwirtschaftlichen Besitzes herauszumessen waren. Der Erblasser behielt sich ein Wohnungsrecht an dem Haus „-“ vor. Auch der Beklagte zu 2) verzichtete in diesem Vertrag auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht nach dem Erblasser und nach der Mutter. Der Erblasser verstarb am 07.09.2009.

Der Kläger behauptet, der Wert des Grundbesitzes, welchen der Erblasser an die beiden Beklagten übereignet habe, betrage 1.462.447,- €, wovon ihm im Wege der Pflichtteilsergänzung ein Sechstel zustehen würden.

Der Kläger beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, 243.741,16 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.01.2010 zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, auf Grund der Pflichtteilsentziehung, die sich auf massive Belästigungen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen begründen würden, würde dem Kläger ein Pflichtteil und damit eine Pflichtteilsergänzung nicht mehr zustehen. Der an sie übereignete Grundbesitz sei erheblich weniger wert als die vom Kläger geschilderten 1,4 Millionen Euro. Außerdem müsse der Wert des Leibgedings abgezogen werden. Ebenso müsse im Wege der Pflichtteilsergänzung der Pflichtteil nach der Mutter abgezogen werden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen P., M., Pr., L., R., W., T. sowie durch Erholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen T.. Für die Einzelheiten wird verwiesen auf die Sitzungsniederschriften vom 17.04.2013, vom 20.01.2016 und auf das schriftliche Sachverständigengutachten. Zur Vervollständigung des Tatbestands wird verwiesen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie sonstige Aktenteile.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet.

I.

Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB steht dem Kläger nur in Höhe von 32.785,77 € zu.

1. Eine wirksame Entziehung des Pflichtteils nach § 2333 Abs. 1 BGB ist nicht erfolgt. Die Beweisaufnahme hat nicht zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass ein Pflichtteilsentziehungsgrund nach den § 2333 Nr. 1 oder 2 BGB a.F. (vgl. Art. 229 § 23 Abs. 4 EGBGB) vorliegt. Die Beklagten haben die Pflichtteilsentziehungsgründe dahingehend konkretisiert, dass der Kläger dem Erblasser am 16.08.1998 eine Körperverletzung beigebracht habe. Der Kläger soll ihm eine Schürfwunde, eine blutige Nase und ein blaues Auge geschlagen habe. Außerdem soll der Kläger Telefonterror gegenüber dem Beklagten zu 1) begangen haben und die im Testament vom 19.04.2004 dargelegten Sachbeschädigungen und Telefonterror gegenüber dem Erblasser sowie das Ablassen von Luft aus den Autoreifen des Beklagten zu 1) durchgeführt haben. Darüber hinaus sei der Kläger in erheblichem Maße unhöflich gegenüber den Beklagten und dem Erblasser aufgetreten. Objektive Anhaltspunkte für den Nachweis dieses Vortrags sind nicht vorhanden, insbesondere konnten die staatsanwaltschaftlichen Akten über die damaligen Strafanzeigen des Erblassers und der beiden Beklagten wegen zwischenzeitlicher Vernichtung nicht mehr beigezogen.

Die Zeugin Pr. stand für eine Aussage nicht zur Verfügung, diese berief sich sowohl bei der ersten Ladung als auch bei der zweiten auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Eine Ausnahme nach § 385 Abs. 1 Nr. 3 und 4 ZPO besteht nicht. Denn die hier relevanten Vermögensangelegenheiten (so man den Erbfall nach dem Erblasser überhaupt darunter subsumieren möchte) haben nichts mit dem Familienverhältnis zur Zeugin Pr., welche die Ex-Ehefrau des Klägers ist, sondern mit dem Familienverhältnis der Parteien zum Erblasser als dessen Söhne zu tun. § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO richtet sich insbesondere an juristische Personen bzw. Rechtsvorgänger. Beides liegt bei der Zeugin Pr. nicht vor. Der Zeuge P. konnte nur angeben, dass es zwischen dem Erblasser und dem Kläger zu einem Streit gekommen war und das Verhältnis zwischen den Parteien und zwischen dem Kläger und dem Erblasser danach sehr „vergiftet“ war. Er konnte sich zwar an einen Vorfall im August 1997 erinnern, von welchem er selber nicht unmittelbar Zeuge war und nur angeben konnte, dass Frau Pr. eine „Schlägerei“ gesehen hätte. Wer sich mit wem geprügelt hat, konnte er nicht angeben. Eine konkrete körperliche Misshandlung des Klägers gegenüber dem Erblasser hat er selber nie mitbekommen. Eine konkrete Körperverletzung ist damit für das Gericht nicht nachgewiesen, zumal das Jahr 1997 nicht mit dem Datum im Testament von 1999 in Übereinstimmung steht.

Die vom Kläger wohl getätigte Äußerung gegenüber dem Zeugen P., der Erblasser möge bald „verrecken“, dürfte eher im Zwist mit dem Erblasser begründet sein und die Abneigung des Klägers gegenüber dem Erblasser zum Ausdruck bringen. In die Nähe der Absicht nach § 2333 Nr. 1 a.F. BGB kann man den Kläger damit nicht rücken. Außerdem lag der Erblasser zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus. Allein das Aussprechen der „Hoffnung“ des Klägers, dass der Erblasser bald versterben werde, um damit dem Ärger mit dem Erblasser aus dem Weg gehen zu können, rechtfertigt keinen Schluss darauf, dass der Kläger auch tatsächlich dem Erblasser nach dem Leben getrachtet hätte. Denn das „nach dem Leben trachten“ bedarf einer aktiven Tätigkeit dahingehend, den Erblasser umzubringen. Eine solche Tätigkeit haben die Beklagten im Hinblick auf die Äußerungen des Klägers nicht einmal vorgetragen.

Die Zeugin M. konnte hinsichtlich etwaiger Körperverletzungen ebenfalls nichts sachdienliches beitragen. Soweit es Telefonaufzeichnungen der Anrufe des Klägers beim Beklagten zu 1) gegeben hat, sind diese Aufzeichnungen nicht verwertbar, da der Kläger sein Einverständnis diesbezüglich bestritten hat. Damit unterliegen diese Aufzeichnungen einem Beweisverwertungsverbot. Darüber hinaus offenbaren die Ausführungen diesbezüglich in den Schriftsätzen der Beklagten vom 26.11.2012 und vom 21.02.2013 keine entsprechenden Anrufe beim Erblasser, sondern beim Beklagten zu 1). Die Äußerungen sind auch somit nicht gegenüber dem Erblasser, sondern gegenüber dem Beklagten zu 1) gefallen, so dass allein die Tatsache, dass sich der Kläger mit den Beklagten streitet, eine Pflichtteilsentziehung nach § 2333 BGB jedenfalls nicht rechtfertigt.

2. Grundsätzlich besteht auf Grund der Enterbung des Klägers im Testament vom 10.06.1999 ein Pflichtteilsanspruch nach § 2317 Abs. 1 BGB in Höhe von einem Sechstel (§ 2303 Abs. 1 S. 2 BGB). Nachvollziehbaren und unbestrittenen Vortrag zum Nachlass des Vaters gibt es nicht. Die Behauptung des Klägers, der Vater habe „mehrere 100.000,- €“ hinterlassen, blieb nicht nur unsubstantiiert, sondern von den Beklagten auch bestritten. Der Nachlass ist damit mit 0,- € anzusetzen.

3. Dem Kläger steht wegen den beiden Schenkungsverträgen vom 13.05.2002 zwar ein Ergänzungsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB zu, jedoch nicht in der von ihm begehrten Höhe, sondern lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Für den nun durchzuführenden Rechenweg wird stellvertretend auf die Kommentierung bei Staudinger, BGB, 2015, § 2325, Rn. 84 verwiesen.

a) Der Wert der Schenkung an den Beklagten zu 1) (das landwirtschaftliche Anwesen) ist mit 0,- € zu bewerten. Der Erblasser hat im Vertrag mit dem Beklagten zu 1) (Anlage K 9, Ziffer 7 a.E.) soweit zulässig den Ertragswert zugrunde gelegt. Daraus folgt, dass der Ertragswert nach § 2312 Abs. 1 BGB dann anzuwenden ist, wenn es sich um ein Landgut handelt. Im Rahmen der Beweisaufnahme hat sich eindeutig ergeben, dass es sich bei dem landwirtschaftlichen Betrieb, welcher auf den Beklagten zu 1) überschrieben wurde, um ein Landgut im Sinne des § 2312 BGB handelt. Sämtliche Zeugen, die für dieses Thema vom Kläger selbst benannt worden waren und auch zur Aussage bereit waren konnten bestätigen, dass das landwirtschaftliche Anwesen stets als Landwirtschaft auch genutzt wurde. Zunächst hatte der Erblasser selbst dort einen landwirtschaftlichen Betrieb inne gehabt, den er dann dem Kläger überließ (wobei offen blieb, ob der Kläger diesen pachtete oder dies anders mit dem Erblasser vereinbart worden war). Im Anschluss daran hatte sich, offensichtlich nach dem Zerwürfnis mit dem Erblasser, der Beklagte zu 1) um den Betrieb, zum Teil auch zusammen mit dem Erblasser, gekümmert. Nach dem Tod des Erblassers hat der Beklagte zu 1) die Landwirtschaft, jetzt nur noch im Ackerbau, fortgeführt. Entsprechendes konnte auch der Sachverständige T. feststellen, dem im Rahmen der Begutachtung diverse Unterlagen zur landwirtschaftlichen Nutzung übergeben wurden. Ebenso konnte der Beklagte zu 1) mit Schriftsatz vom 21.03.2013 (Blatt 88 d.A.) eine Versicherungsbescheinigung vorlegen, aus welcher sich ergibt, dass der Beklagte zu 1) seit 1986 ständig als landwirtschaftlich tätiger Unternehmer bzw. mitarbeitender Familienangehöriger versichert ist.

Nach dem Niederstwertprinzip ist dabei der Stichtag vom 29.07.2002 (Eintragung ins Grundbuch) zu berücksichtigen, da nach der Rechtsprechung des BGH für die Ermittlung des Niederstwerts das Leibgeding zunächst nicht zu berücksichtigen ist. Auf Grund der Betriebsgröße, der Durchführung der betrieblichen Tätigkeiten und der Umstellung von einem „Vollbetrieb“, wie er früher vorherrschte mit Ackerbau und Viehzucht auf reinen Ackerbau, wird noch zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen, dass lediglich ein 50 %-iger Lohnansatz vorzunehmen ist. Der Wert ist daher mit dem Stichtag von 2002 auf 12.000,- € gemäß den umfangreichen, in sich schlüssigen und detaillierten Ausführungen des Sachverständigen T. festzulegen. Nach Abzug des Leibgedings, welches der Sachverständige T. auf 52.240,- € bezifferte, verbleibt somit ein anzusetzender Wert von 0,- €.

b) Der Wert der Schenkung an den Beklagten zu 2), welcher eine Teilfläche aus der Flurnummer 78, im Kataster nunmehr mit der Flurnummer 78/2 bezeichnet, erhielt, ist mit 320.000,- € anzusetzen. Wie die Beweisaufnahme ergeben hat (Zeugen P., L., R.) betreibt der Beklagte zu 2) die Landwirtschaft auch nicht als Teilhaber. Er ist lediglich in dem von seinem Vater überschriebenen Haus wohnhaft. Wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat, handelt es sich bei dem Wohnhaus – um ein eigenständiges Objekt, das auch zum Zeitpunkt der Überschreibung im Jahr 2002 in keinem Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Anwesen stand (S. 138 des Gutachtens 1, Bl. 302 d.A.). Soweit der Beklagte zu 2) der Auffassung ist, das Zweifamilienhaus sei zumindest teilweise Vermögen, welches zum landwirtschaftlichen Betrieb zählt, wird dieser Auffassung nicht gefolgt. Allein die Tatsache, dass sich der Erblasser ein Wohnrecht dort vorbehalten hat, zeigt nicht, dass dieses Wohnhaus in irgendeiner näheren Beziehung zur Landwirtschaft steht. Auch die im Sachverständigengutachten beigefügten Fotos zeigen eine entsprechende Verbindung nicht auf.  Darüber hinaus würde der Ansatz des Ertragswertes nach § 2312 BGB darüber hinaus eine entsprechende Erblasseranordnung voraussetzen, die sich in dem Überlassungsvertrag zwischen dem Erblasser und dem Beklagten zu 2) gerade nicht findet, auch nicht für die Wohnung im Erdgeschoss.

Somit ist bei der Bestimmung des Niederstwertes der Verkehrswert nach dem Gutachten des Sachverständigen T. zugrunde zu legen. Der Verkehrswert im Jahr 2002 wurden vom Sachverständigen auf 318.000,- € nachvollziehbar bestimmt (Blatt 339 d.A., Seite 175 des Gutachtens 1). Im Vergleich zum Stichtag 2009 ist zunächst eine Kaufpreiskorrektur nach dem Verbraucherpreisindex des statistischen Bundesamtes durchzuführen. Für den Juli 2002 liegt dieser bei 88,8, im September 2009 bei 98,9. Eine Korrektur der genannten 318.000,- € mit dieser Kaufpreiskorrektur entspricht einem korrigierten Wert von 354.186,92 €, sodass es für den Niederstwert auf den vom Sachverständige T. für 2009 festgestellten Verkehrswert von 320.000,- € ankommt. Das Wohnrecht ist aufgrund des Erlöschens mit dem Ableben des Erblassers nicht mehr abzuziehen. Dem fiktiven Nachlass (Staudinger a.a.O.) ist somit eine Summe von 320.000,- € hinzuzurechnen.

c) Die Pflichtteile nach der Mutter sind im fiktiven Nachlass entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu berücksichtigen, auch wenn der Kläger seinen Pflichtteil nach der Mutter im Jahr 2000 vor dem Landgericht Landshut geltend gemacht hat. Der Verzicht der Beklagten in den Überlassungsverträgen auf die Pflichtteile nach der Mutter und des Erblassers stellen gerade keine gemischte Schenkung dar (also kein teilweise entgeltlicher Erwerb), welche den oben ermittelten Wert der Überlassung an den Beklagten zu 2) mindern würden. Denn eine solche Entgeltlichkeit ist durch den BGH allein im Falle eines Erbverzichts angenommen worden (NJW 2009, 1143). Begründet wurde die Entgeltlichkeit mit der Erhöhung der Pflichtteilsquote nach § 2310 S. 2 BGB, die bei dem hier relevanten Pflichtteilsverzicht gerade nicht eintritt. In der Literatur wird die Frage für den Pflichtteilsverzicht ebenfalls diskutiert (ein Überblick findet sich bei BGH, NJW 2016, 324, Rn. 12).

Das Gericht sieht den Verzicht auf den Pflichtteil nach dem Erblasser als ohne Auswirkung auf den Wert der Überlassung an, sodass sich am Pflichtteilsergänzungsanspruch nichts ändert. Vielmehr handelt es vollständig um einen unentgeltlichen Erwerb, der mit dem Tod des Erblassers für die beiden Beklagten ohnehin eingetreten wäre, da sie zum Zeitpunkt der Überlassung bereits als Erben eingesetzt waren (ebenso auch Staudinger, § 2325, Rn. 7 auch für den Erbverzicht; v. Proff, NJW 2016, 539/540). Dies wird auch von der Vorschrift des § 517 BGB gestützt. Diese Negativdefinition einer Schenkung (Palandt, BGB, 75. A., § 517, Rn. 1) stellt auf die Ausschlagung einer Erbschaft ab. Der Pflichtteilsanspruch ist davon aber nicht erfasst, da dieser erst mit dem Erbfall entsteht (§ 2317 Abs. 1 BGB). Daraus folgt, dass der Verzicht auf den Pflichtteil zumindest nach § 517 BGB eine Schenkung nicht ausschließt. Nachdem die Parteien die Angemessenheit der unentgeltlichen Überlassung im Hinblick auf das Pflichtteil nicht thematisiert haben, bleibt diese unstreitig.

Gleiches gilt für den Pflichtteil nach der Mutter. Eine Berücksichtigung als Nachlassverbindlichkeit (mit damit einhergehender Schmälerung des fiktiven Nachlasses) scheitert schon daran, dass die Beklagten in den Überlassungsverträgen auf den Pflichtteil nach der Mutter ebenfalls verzichtet haben und dieser damit sofort untergeht, damit eine Nachlassverbindlichkeit zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers nicht mehr bestehen kann. Aus den oben dargelegten Gründen ist der Verzicht auf den Pflichtteil nach der Mutter aber auch nicht dergestalt zu berücksichtigen, dass eine gemischte Schenkung anzunehmen wäre. Denn auch hinsichtlich des Pflichtteils nach der Mutter gilt, dass die Beklagten den von ihnen noch nicht verlangten Pflichtteil nach der Mutter aufgrund ihrer Erbenstellung nach dem Vater ohnehin unentgeltlich erworben hätten. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es seitens der Beklagten keinen Vortrag bezüglich des Werts der Gegenleistung (Pflichtteil nach der Mutter) gibt, obwohl das Gericht mehrfach darauf hingewiesen hat (Verfügungen vom 24.10.2014, 10.02.2015, 07.12.2015). Darlegungs- und beweisbelastet sind jedoch die Beklagten (Palandt, § 2325, Rn. 30). Der Verweis auf den vom Kläger im früheren Verfahren geltend gemachten Pflichtteilsanspruch bzw. den im Vergleichswege vereinbarten Betrag von 250.000 DM reicht nicht aus. Denn im Vergleich wurde der Betrag auch für andere Ansprüche festgesetzt.

d) Soweit die Beklagten dem Erblasser Darlehen zur Erfüllung diverser Verbindlichkeiten, insbesondere im Zusammenhang mit der Pflichtteilsauseinandersetzung mit dem Kläger, gewährt haben, mindern diese den fiktiven Nachlass. Zur Überzeugung des Gerichts ergeben sich folgende Zahlungen, welche die Beklagten für den Erblasser getätigt haben: So haben, wie sich auch aus Anlage K 4 ergibt, die beiden Beklagten dem Vater jeweils 13.000,- € zur Erfüllung der Pflichtteilsverbindlichkeit gegenüber dem Kläger zukommen lassen. Die Aufnahme in dem Testament vom 19.04.2004 unter Ziffer 3 kommt einem Schuldanerkenntnis gleich, welches somit den Nachlass mindert. Der Erblasser hat selber ausgeführt, dass diese Darlehen aus dem Nachlass zurückzuzahlen sind, weswegen diese die Pflichtteilsergänzung als Verbindlichkeit des Nachlasses mindern. Darüber hinaus haben die Beklagten Überweisungsträger in Kopie vom 07.01.2002 über einen Betrag von 88.822,97 €, vom 07.02.2002 über 5.670,38 € und vom 21.03.2002 über 2.792,04 € vorgelegt, welche die Begleichung von Rechtsanwaltskosten und insbesondere einem größeren Betrag zur Begleichung der Pflichtteilsansprüche des Klägers aus dem Nachlass nach der Mutter belegen. Diese wurden im Schriftsatz vom 18.11.2014 vorgelegt.

Der Kläger hat bestritten, dass es entsprechende Zahlungen gab, die auch wirklich die Beklagten belastet hätten. Vielmehr sei vorab das Geld vom Erblasser an die Beklagten geflossen. Dies offenbar, um ihn zu schädigen. Näher konnte er diese Behauptung allerdings nicht spezifizieren. In diesem Zusammenhang ist die Aussage der Zeugin M. in der Verhandlung vom 17.04.2013, Seiten 5 und 6, erhellend. Bereits aus der Erinnerung heraus konnte die Zeugin M. angeben, dass der Beklagte zu 1) einen Teil der zu zahlenden Summe von (damals 250.000,- DM) beglich. Sie konnte später in ihren Unterlagen während der Vernehmung einen entsprechenden Überweisungsauftrag, der hier auch in Kopie vorgelegt wurde, vorlegen. Daraus ergibt sich für das Gericht, dass es der Beklagte zu 1) war, der über 80.000,- € für den Vater aufgewendet hat. Für das Gericht spielt es dabei keine Rolle, woher er dieses Geld hat. Die Behauptung des Kläger erfolgt ebenso ins Blaue hinein wie die Behauptung des großen Nachlasses des Erblassers. Nähere Kenntnis von den Geldflüssen kann er aufgrund des familiären Streit wohl kaum gehabt haben. Auch die beiden anderen Überweisungen, die sich an die Zeugin M. und den anwaltlichen Vertreter des Klägers im damaligen Verfahren richteten, gingen vom Konto des Beklagten zu 1) ab.

e) Der fiktive Nachlass errechnet sich somit unter Abzug der Darlehen auf 196.714,61 €. Ein Sechstel davon entspricht 32.785,77 €.

II.

Verzinsung schulden die Beklagten gemäß § 286 Abs. 1 S. 2 BGB erst ab Rechtshängigkeit, da in der vom Klägervertreter vorgelegten Anlagen K 13 nur Auskunft begehrt wurde, nicht aber Zahlung eines irgendwie gearteten, auch zukünftig erst zu berechnenden Betrages. Eine Inverzugsetzung der Beklagten hinsichtlich einer etwaigen Zahlung findet sich in diesem Schreiben nicht.

Entziehung des Pflichtteils, Pflichtteilsergänzung, fiktiver Nachlass
Birgit OehlmannRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Erbrecht
  • Zertifizierte Testamentsvollstreckerin (AGT)

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