Nachfolgend ein Beitrag vom 5.6.2018 von Herberger, jurisPR-FamR 11/2018 Anm. 7

Leitsätze

1. Verfügungen, die im Wechselbezug stehen, müssen nicht zwingend zeitgleich in einer einheitlichen Urkunde getroffen werden. Sie können auch nacheinander in getrennten Urkunden niedergelegt werden. Allerdings muss in diesem Fall ein entsprechender Verknüpfungswille feststellbar sein, der sich aus den Urkunden zumindest andeutungsweise ergeben muss.
2. Auch ein langer Zeitraum von fast 40 Jahren, der zwischen den beiden Testamenten liegt, spricht nach den Gesamtumständen nicht entscheidend gegen die Annahme eines Verknüpfungswillens der Eheleute. Anhaltspunkte für eine nachträgliche Verknüpfung können sich etwa auch aus einer inhaltlichen Bezugnahme und einer gemeinsamen Verwahrung der Testamente ergeben.
3. Die Feststellung eines lebzeitigen Eigeninteresses erfordert eine umfassende Abwägung der Interessen im Einzelfall. Es kann fehlen, wenn der Erblasser Zuwendungen erheblicher Vermögenswerte in erster Linie auf Grund eines auf Korrektur der Verfügung von Todes wegen gerichteten Sinneswandels vornimmt.

A. Problemstellung

Die Entscheidung befasst sich mit der praktisch relevanten Frage, ob Verfügungen, die in zwei verschiedenen gemeinschaftlichen Testamenten getroffen wurden, als wechselbezüglich angesehen werden können. Im konkreten Fall trat die Besonderheit hinzu, dass zwischen den beiden Testamenten fast 40 Jahre lagen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Eltern des Klägers setzten sich mit notarieller Urkunde vom 18.07.1961 gegenseitig als Alleinerben ein (Ziffer I.). Weiter bestimmten sie, dass der Überlebende über das Ererbte und über sein eigenes Vermögen frei testieren dürfe. Nur dann, wenn er keine Verfügungen von Todes wegen treffe, sollte ihr einziger Sohn, der jetzige Kläger, Erbe sein. Als Ersatzerbe wurde das Institut für Krebsforschung an der Universität in Köln eingesetzt (Ziffer II.). Am 18.10.2000 – also 39 Jahre nach der Errichtung des ersten Testaments – trafen die Eltern weitere letztwillige Verfügungen: In Abänderung zu Ziffer II. des Testaments vom 18.07.1961 sollte Erbe des Letztlebenden ihr Sohn sein, Ersatzerbe des Sohnes die Schwiegertochter und Ersatzerbe der Schwiegertochter die Enkeltochter. Nachdem die Mutter des Klägers im Jahre 2005 verstorben war, lernte der Vater, der jetzige Erblasser, die Beklagte kennen, die im Juni 2010 zu ihm zog. In diesem Zusammenhang kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger und seinem Vater. Daraufhin schrieb der Vater an seinen Sohn: „… Unter diesen Umständen, die mich hart getroffen und höchst unverständlich gemacht haben, sah ich mich veranlasst, mein noch bestehendes Restvermögen zu entsorgen und einer Vererbung nach meinem Ableben zu entziehen ….“
Das OLG Hamm hatte nun zu klären, ob die Einsetzung des Sohnes im Testament vom 18.10.2000 als wechselbezügliche Verfügung anzusehen ist.
Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind Verfügungen nach Auffassung des Oberlandesgerichts wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre. Entscheidend sei daher, ob die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil der andere Ehegatte seine Verfügung getroffen habe. Es komme darauf an, ob die eine Verfügung mit der anderen Verfügung – nach dem gemeinsamen Willen der Ehegatten – stehen und fallen sollte. Die Wechselbezüglichkeit dürfe nicht pauschal für alle Verfügungen innerhalb des Testaments beurteilt werden. Es müsse jeweils auf die einzelnen Verfügungen abgestellt werden.
Für den vorliegenden Fall sei relevant, dass wechselbezügliche Verfügungen nicht zwingend zeitgleich in einer einheitlichen Urkunde erfolgen müssten. Allerdings sei, wenn diese Verfügungen nacheinander in getrennten Urkunden getroffen würden, ein Verknüpfungswille erforderlich, der in der Urkunde zumindest andeutungsweise zum Ausdruck kommen müsse. Dafür genüge es nicht, dass die Ehegatten nur den Willen der Zusammenfassung beider Testamente zum Ausdruck brächten. Hinzukommen müsse der erkennbare Wille der Ehegatten, dass die frühere und die spätere Verfügung in ihrem Bestand voneinander abhängig gemacht werden sollten.
Hier könne man von einer Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung im Testament vom 18.10.2000 zu der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute in dem Testament vom 18.07.1961 ausgehen. Dies sei u.a. dadurch erkennbar, dass die Ehegatten ihren Sohn nunmehr verbindlich zum Schlusserben einsetzen wollten, denn sonst hätten sie es bei der lediglich bedingten Schlusserbeneinsetzung aus dem Testament von 1961 belassen können. Gegen diese Beurteilung könne der lange Zeitraum von fast 40 Jahren zwischen den beiden Testamenten nicht ins Feld geführt werden. Zwar sei das Zeitmoment ein zu berücksichtigender Umstand. Der Wille einer nachträglichen Verknüpfung könne aber auch aus einer inhaltlichen Bezugnahme bzw. einer gemeinsamen Verwahrung der Testamente folgen.
Im vorliegenden Fall hätten sich die Ehegatten im Testament von 2000 ausdrücklich auf das Testament von 1961 bezogen. Des Weiteren wurden beide Testamente gemeinsam beim Amtsgericht T2 in besondere amtliche Verwahrung gegeben. Für einen Verknüpfungswillen der Ehegatten sprächen zudem die Entstehungsgeschichte des späteren Testamentes und die damit verbundenen Motive der Ehegatten für die Abänderung des Testaments. Der Kläger selbst war es, der das Testament von 2000 nach dem ausdrücklichen Wunsch seiner Eltern entworfen hatte, die seine Einsetzung als Schlusserben sicherstellen wollten. Dies sei seinen Eltern deshalb ein Anliegen gewesen, weil er bei Errichtung des ersten Testaments erst 15 Jahre alt war und die Ehegatten sich daher einen Spielraum offenhalten wollten, den sie nunmehr nicht mehr brauchten.

C. Kontext der Entscheidung

Bei der Frage, ob Verfügungen, die in einem großen zeitlichen Abstand voneinander getroffen wurden, als wechselbezüglich anzusehen sind, spielt das Zeitmoment in der Argumentation der Gerichte eine große Rolle. So hat das OLG Schleswig (Beschl. v. 11.01.2016 – 3 Wx 95/15) beispielsweise ausgeführt, dass schon das Verstreichenlassen von zwei Jahren zwischen zwei Verfügungen gegen einen Verknüpfungswillen spricht. Es sei anerkannt, dass die Verknüpfung im Sinne einer Wechselbezüglichkeit mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen den Verfügungen immer unwahrscheinlicher werde. In diesem Sinne judizierte gleichfalls das BayObLG (Beschl. v. 29.08.1985 – BReg 1 Z 47/85): Ein Abstand von 26 Jahren zwischen zwei Testamenten spreche „eher gegen als für einen solchen – fast als unvermittelt erscheinenden – Ergänzungswillen“.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der vorliegende Fall zeigt, dass das bloße Zeitmoment nicht genügt, um einen Verknüpfungswillen von Ehegatten zwischen zwei Verfügungen zu verneinen. Trotz eines großen zeitlichen Abstandes kann eine nachträgliche Verknüpfung auf einer inhaltlichen Bezugnahme bzw. einer gemeinsamen Verwahrung der Testamente beruhen.
In der Praxis sollte darauf geachtet werden, möglichst ausdrückliche Anordnungen zur Wechselbezüglichkeit von Verfügungen zu treffen. So kann eine möglicherweise mit Risiken behaftete Ermittlung des Willens der Testierenden im Wege der Auslegung nach den §§ 133, 2084 BGB vermieden werden. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass tatsächlich der Wille der Testierenden zur Geltung gebracht wird.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Nachdem das OLG Hamm das Vorliegen von wechselbezüglichen Verfügungen i.S.d. § 2270 Abs. 1 BGB festgestellt und die Eröffnung des Anwendungsbereiches von § 2287 Abs. 1 BGB bejaht hat, prüft das Oberlandesgericht, ob es sich um „beeinträchtigende Schenkungen“ handelt. Dies setze eine Schenkung nach § 516 BGB voraus, die objektiv beeinträchtigend ist und mit Beeinträchtigungsabsicht vorgenommen wurde.
Im konkreten Fall betonte das Oberlandesgericht sowohl bei der Prüfung der Schenkung als auch bei der Prüfung der Beeinträchtigungsabsicht, dass der Vortrag der Beklagten nicht geeignet gewesen sei, diese Annahme zur erschüttern.

Ehegattentestament: Wechselbezüglichkeit bei fast 40-jähriger Zeitspanne zwischen zwei Verfügungen
Birgit OehlmannRechtsanwältin
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