BGH, Pressemitteilung vom 07.09.2017
Urteile vom 7. September 2017 – RiZ (R) 1/15, 2/15 und 3/15
Der Antragsteller ist Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe und wendet sich mit seinen Anträgen gegen Maßnahmen der Präsidentin des Oberlandesgerichts Karlsruhe.
Nach dem Wechsel des Antragstellers in einen anderen Senat des Oberlandesgerichts ordnete die Präsidentin eine Sonderprüfung des im früheren Dezernat des Antragstellers hinterlassenen Verfahrensbestands an. Nach Durchführung der Sonderprüfung teilte sie dem Antragsteller in einem Vermerk ihre Absicht mit, ihm im Rahmen der Dienstaufsicht die ordnungswidrige Art der Ausführung der Amtsgeschäfte vorzuhalten sowie ihn zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte anzuhalten, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. In der Folge hielt sie ihm die ordnungswidrige Art der Ausführung der Amtsgeschäfte vor und ermahnte ihn zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte. Der Antragsteller unterschreite seit Jahren ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessender Toleranzbereiche das Durchschnittspensum. Im Jahre 2011 habe er sogar weniger Verfahren erledigt als dies der durchschnittlichen Leistung einer Halbtagsrichterin/eines Halbtagsrichters am Oberlandesgericht entspreche.
Der Antragsteller hat beim Dienstgericht für Richter beantragt, die Anordnung und Durchführung der Sonderprüfung, den Vermerk mit der Ankündigung, dass eine dienstrechtliche Maßnahme beabsichtigt sei, sowie den Vorhalt einer ordnungswidrigen Art der Ausführung der Dienstgeschäfte und die Ermahnung zur ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung für unzulässig zu erklären, weil sie ihn in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigten und eine Änderung seiner Rechtsprechung herbeiführen sollten. Die Anträge hatten beim Dienstgericht im Wesentlichen keinen Erfolg. Der Dienstgerichtshof für Richter wies die Berufungen des Antragstellers zurück.
Die Revision des Antragstellers ist beim Dienstgericht des Bundes hinsichtlich der Sonderprüfung (Verfahren RiZ (R) 3/15) und der Ankündigung einer dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahme (Verfahren RiZ (R) 1/15) erfolglos geblieben. Die Anordnung der Sonderprüfung verletzte die richterliche Unabhängigkeit nicht. Für die Sonderprüfung bestand im Hinblick auf die bei dem Senatswechsel zurückgelassenen Akten ein objektiver Anlass. Eine unzulässige Weisung oder ein besonderer Ausdruck des Misstrauens gegen den Antragsteller ging von dieser Maßnahme, auch wenn er vorab nicht informiert worden war, schon deshalb nicht aus, weil sie nur Akten betraf, für die er nicht mehr zuständig war.
Hinsichtlich des Vermerks mit der Ankündigung einer dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahme (Verfahren RiZ (R) 1/15) war der Prüfungsantrag bereits unzulässig, weil der Vermerk mit der Gelegenheit zur Stellungnahme eine Verfahrenshandlung war, die eine Maßnahme der Dienstaufsicht vorbereitete, und eine vorbereitende Verfahrenshandlung grundsätzlich nicht gesondert anfechtbar ist.
Hinsichtlich des Vorhalts der ordnungswidrigen Art der Ausführung der Amtsgeschäfte und der Ermahnung zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte (Verfahren RiZ (R) 2/15) hat das Dienstgericht des Bundes das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an den Dienstgerichtshof zurückverwiesen. Ein Dienstvorgesetzter darf einen Richter grundsätzlich zu einer ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte ermahnen und ihm eine ordnungswidrige verzögerte Ausführung vorhalten. Die richterliche Unabhängigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes aber beeinträchtigt, wenn dem Richter direkt oder indirekt ein Pensum abverlangt wird, welches sich allgemein, also auch von anderen Richtern, sachgerecht nicht mehr bewältigen lässt.
Das hat im Ausgangspunkt auch der Dienstgerichtshof zugrunde gelegt. Seine Feststellung, dem Antragsteller werde auch nicht indirekt ein Pensum abverlangt, welches sich allgemein, also auch von anderen Richtern sachgerecht nicht mehr bewältigen lässt, ist aber nicht rechtsfehlerfrei getroffen. Es fehlt an ausreichenden Feststellungen des Dienstgerichtshofs dazu, was von anderen Richtern sachgerecht zu bewältigen ist. Durchschnittszahlen können dafür nur ein Anhaltspunkt sein.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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Anmerkung: Man könnte im Zusammenhang mit der immer wieder diskutierten vermeintlichen Faulheit der Richter durchaus die Auffassung vertreten, die richterliche Unabhängigkeit sei die unüberwindbare Firewall gegen jegliche Bestrebungen, dem oder der betroffenen Richter(in) die Faulheit auszutreiben und Beine zu machen. Der BGH erteilt derartigen Stammtischparolen jedoch eine klare Absage und schränkt zutreffend ein, dass zunächst einmal ausreichende Feststellungen dazu getroffen werden müssen, ob die offenkundig in dem ehemaligen Dezernat des Richters aufgelaufenen Rückstände tatsächlich auf ein mangelndes Leistungsvermögen zurückzuführen sind, ggf. gepaart mit voluntativen Elementen, oder aber ob die nicht bearbeiteten und die bearbeiteten Fälle insgesamt nach Prüfung jedes einzelnen Falles die Annahme einer nicht ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte rechtfertigen.
Es ist das Wesen juristischer Sachverhalte, dass sich diese nun einmal in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht so krass unterscheiden können, dass mit Durchschnittszahlen nicht argumentiert werden kann. Es ist aus organisatorischer Sicht leider auch das Wesen der Geschäftsverteilung in den Gerichten, dass auf Besonderheiten, etwa der Häufung besonders komplexer, umfangreicher und/oder komplizierter Verfahren nur in sehr eingeschränktem Maße und das auch nur im Nachhinein reagiert werden kann. Dies ist schlichtweg dem Umstand geschuldet, dass widrigenfalls das Recht auf den gesetzlichen Richter, normiert in Deutschland in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) und im § 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), ausgehebelt würde. Dieses auch sogenannte Justizgrundrecht bedeutet, dass jedermann Anspruch auf eine im Voraus festgelegte und hinterher überprüfbare Festlegung hat, welcher Richter für welchen Fall zuständig ist. Hierdurch soll verhindert werden, dass die Exekutive durch Manipulation der richterlichen Zuständigkeit Einfluss auf das Ergebnis eines konkreten Verfahrens nehmen kann.
Will man das nicht (ich nicht!) angreifen, muss man wohl damit leben, dass es in Einzelfällen auch mal zu überlangen Verfahrensdauern kommt. Lediglich im Strafrecht wird dieses verfassungsrechtlich begründet kompensiert. Ansonsten ist es wohl eher eine justizpolitische Fragestellung. Wer die Anzahl von Richterstellen nicht nach objektiven Notwendigekiten, sondern nach Haushaltslage bestimmt, braucht sich eben nicht zu wundern, dass beispielsweise beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg ein Eilverfahren (!) auch nach 1 1/2 Jahren noch nicht entschieden ist. Ich halte das für einen Skandal. Im Übrigen ebenso wie den Umstand, dass (wiederum) in Berlin größere Steuerstrafverfahren aus zeitlichen Gründen schlichtweg nicht mehr justiziabel sind. Das führt zu einer Wohnortjustiz mit derart ungleichen Ergebnissen, dass ich dies auch verfassungsrechtlich für nicht mehr tolerierbar halte. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz beinhaltet im Übrigen ein Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt, soweit diese in die Rechte des Betroffenen eingreifen. Also liebe ehrliche Steuerbürger: Wollt Ihr wirksamen Rechtsschutz im Falle eines Falles, ist die Region Berlin-Brandenburg ganz sicher der falsche Ort für eine persönliche oder gar eine Unternehmensansiedlung. Liebe unehrliche Steuerbürger: Wechselt Euren Wohnsitz und Unternehmenssitz in diese Region, da gibt es dann ja genügend freie Immobilien der ehrlichen Steuerbürger, die weggezogen sind.
Mit der Faulheit der Richter hat das natürlich alles nichts zu tun. In jeder Berufsgruppe gibt es fleißige und weniger fleißige Protagonisten. Aber wie will man die Berufsgruppe der Richter messen? Mit Durchschnitts- oder Erledigungszahlen? Wohl kaum. Mir ist es in nahezu jedem Fall deutlich lieber, der gesetzliche Richter meines Mandanten befasst sich mit dem ihm unterbreiteten Sachverhalt sorgfältig und kommt zu ebenso sorgfältig abgewogenen Vorschlägen in der Güteverhandlung oder zu einer sorgfältig begründeten streitigen Entscheidung, als dass er mit Blick auf Durchschnitts- und Erledigungszahlen die Fälle oberflächlich durchpaukt und mit einer Alibibegründung „durchentscheidet“ und damit nicht zu einer Befriedung eines Straitverhältnisses beiträgt, sondern den Weg in die nächste Instanz geradezu provoziert. Letztere Konstellationen habe ich in meiner annähernd 30-jährigen Berufspraxis weitaus häufiger erlebt als faule Richter.