Nachfolgend ein Beitrag vom 21.6.2016 von Adamus, jurisPR-FamR 13/2016 Anm. 1

Leitsatz

Haben sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt, so lässt weder der anschließende Satz:
„Nach dem Tod des Letztversterbenden soll die gesetzliche Erbfolge eintreten.“
noch eine ergänzende Pflichtteilsstrafklausel den zwingenden Schluss darauf zu, dass eine Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Kinder nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge gewollt ist.

A. Problemstellung

Die Entscheidung des OLG Hamm beschäftigt sich mit einem Ehegattentestament, das eine gegenseitiger Erbeinsetzung enthält. Daneben wird die in handschriftlichen Testamenten des Öfteren anzutreffende Formulierung, dass nach dem Tod des Letztversterbenden gesetzliche Erbfolge eintreten soll, verwendet. Es ist dann fraglich, ob hiermit eine Schlusserbeneinsetzung oder nur die Anerkennung der gesetzlichen Erbfolge gemeint ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Ehegatten hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Der anschließende Satz lautete:
„Nach dem Tod des Letztversterbenden soll die gesetzliche Erbfolge eintreten.“
Abschließend enthielt das Testament eine Pflichtteilsstrafklausel. Die Eheleute haben zwei gemeinsame Töchter. Nach dem Tod des Ehemannes testierte die Ehefrau erneut und ordnete Testamentsvollstreckung an. Nach dem Tod der Ehefrau ist das Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt worden.
Das OLG Hamm hat die Beschwerde der einen Tochter gegen die Ernennung des Testamentsvollstreckers als unbegründet zurückgewiesen.
Die letztwillige Anordnung der Ehefrau stehe nicht im Widerspruch zu dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute, denn aus diesem lasse sich keine Schlusserbeneinsetzung entnehmen, an welche die Erblasserin gebunden gewesen wäre. Eine ausdrückliche Schlusserbeneinsetzung fehle. Die Auslegung des Testaments führe zu keinem anderen Ergebnis. Maßgeblich sei der wirkliche Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Der Wortlaut der Verfügung sei zu hinterfragen, um festzustellen, was der Verfügende mit seinen Worten habe sagen oder zum Ausdruck bringen wollen. Dabei sei der gesamte Inhalt der testamentarischen Verfügungen einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen. Könne danach der wirkliche Wille nicht sicher festgestellt werden, sei der mutmaßliche Erblasserwillen maßgeblich (BGH, Urt. v. 07.10.1992 – IV ZR 160/91 – NJW 1993, 256).
Der Satz „Nach dem Tod des Letztversterbenden soll die gesetzliche Erbfolge eintreten“ sei nach dem Wortsinn einem alternativen Verständnis zugänglich. Im juristischen Sprachgebrauch diene eine Soll-Bestimmung dazu, ein gefordertes oder erwünschtes Verhalten oder Ergebnis zu umschreiben, ohne dass hierin ein zwingendes Gebot liege. Dies würde gegen eine testamentarische Erbeinsetzung sprechen, da die gesetzliche Erbfolge ohnehin der Regelfall sei. Allgemeinsprachlich könne das „soll“ zwar auch im Sinne einer zwingenden Anordnung benutzt werden, die Formulierung sei aber deutlich schwächer als die der Entscheidung des BayObLG (BayObLGZ 1964, 94, 97), in der die Ehegatten von einer gegenseitigen Erbeinsetzung abgesehen und bestimmt hatten: „Der Nachlass eines jeden von uns soll sich nach der gesetzlichen Erbfolgeordnung vererben“.
Die sog. Pflichtteilsstrafklausel erschöpfe sich vorliegend in der bloßen Sanktionierung einer Inanspruchnahme des überlebenden Ehegatten und biete keinen Ansatzpunkt für die Auslegung im Sinne einer Schlusserbeneinsetzung. Die schriftsätzlichen Ausführungen der Beteiligten zur Auslegung der beiden vorgenannten Klauseln führten zu keiner Verdeutlichung der tatsächlichen Vorstellungen der Testatoren.
Das OLG Hamm hält es danach für überwiegend wahrscheinlich, dass die Eheleute in dem gemeinschaftlichen Testament keine Schlusserben einsetzen wollten. Das Testament weise für ein privatschriftliches Testament eine durchaus überdurchschnittliche sprachliche Qualität auf. Es beschränke sich auf drei Aussagen und verwende die juristisch geprägten Begriffe ausnahmslos zutreffend. Der Ehemann der Erblasserin sei Beamter im Auswärtigen Amt gewesen und dort auch mit der Beurkundung von letztwilligen Verfügungen vertraut gemacht worden. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass er das, was er geschrieben habe, auch so verstanden und gemeint habe. Deshalb gewinne der sprachliche Aufbau des Testaments an Bedeutung. Der erste Satz formuliere prägnant die wechselseitige Erbeinsetzung. Es hätte nun nahegelegen, eine gewollte Schlusserbeinsetzung der Töchter ebenso klar niederzuschreiben. Stattdessen werde formuliert, dass nach dem Tod des Letztversterbenden die gesetzliche Erbfolge eintreten solle. Dies wirke gerade bei einem erbrechtlich vorgebildeten Verfasser und im Vergleich mit dem ersten Satz deutlich zurückgenommen und distanziert, zumal die beiden Töchter hier nicht einmal erwähnt werden. Dies lege ein Verständnis des Satzes nahe, wonach es sich um einen bloßen Verweis handele und nicht um gewillkürte Erbeinsetzung nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge. Hierfür spreche auch, dass überhaupt kein Anlass bestand, im Falle einer gewollten Schlusserbeneinsetzung anstelle der ausdrücklichen Einsetzung der beiden Töchter auf die gesetzliche Erbfolge zu verweisen, wenn denn die Schlusserbeneinsetzung der beiden Töchter gewollt gewesen wäre, denn im Zeitpunkt der Testamentserrichtung standen die Beteiligten als gesetzliche Erben des überlebenden Ehegatten fest. Hinzu komme, dass bei dem Ehemann der Erblasserin aufgrund seiner erbrechtlichen Vorbildung davon ausgegangen werden könne, dass es ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, eine erbrechtliche Bindung des überlebenden Ehegatten wesentlich deutlicher in die Formulierungen einfließen zu lassen, wenn denn eine solche Bindung bei der Testamentserrichtung tatsächlich gewollt gewesen wäre.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des OLG Hamm ist in jüngerer Zeit die einzige veröffentliche Entscheidung, die sich mit dem Thema, ob in der testamentarischen Anordnung nur ein Hinweis auf die gesetzliche Erbfolge oder eine Schlusserbeneinsetzung zu erblicken ist, befasst. Die abweichende Entscheidung eines ähnlichen Falles aus dem Jahr 1964 des BayObLG wird daher angesprochen. Hier geht es um die gesetzliche Erbfolge nach beiden Ehegatten (Weidlich in Palandt: BGB, 75. Aufl. 2016, § 2270 Rn. 11). Die Kommentarliteratur ist im Übrigen nicht ergiebig (z.B. Musielak in: MünchKomm, BGB, 6. Aufl. 2013, § 2269 Rn. 23).
Nach Darstellung der anerkannten Regeln der Testamentsauslegung kommt das OLG Hamm zu dem zutreffenden Schluss, dass sich ein eindeutiger objektiver Wille am Wortlaut nicht festmachen lässt und daher auf den mutmaßlichen Willen des Erblassers, der sich aus dem Inhalt des Testaments, aber auch aus Umständen außerhalb des Testaments ergeben kann, abzustellen ist.
Das tragende Argument des Oberlandesgerichts ist hier, dass sich der Verfasser des Testaments über Bedeutung und Tragweite der einzelnen testamentarischen Verfügungen aufgrund seiner Tätigkeit bewusst sein konnte und daher auch eine Schlusserbeneinsetzung bewusst erfolgt wäre. Dann aber hätte er die Töchter beim Namen genannt. Hier ist zu ergänzen, dass schon die häufig anzutreffende Formulierung: „Nach dem Tod des Längerlebenden erben die Kinder“ (o.ä.), Klarheit geschaffen hätte.
Vorliegend hätte man auch argumentieren können, dass der Verfasser des Testaments die Benennung der Kinder schlicht deshalb unterlassen hat, weil er das für überflüssig erachtete. Er ging davon aus, dass das Ergebnis ohne Erbeinsetzung dasselbe sein würde, nämlich dass die Töchter zu gleichen Teilen erben. Auch in diesem Fall hätte er bewusst keine Erbeinsetzung vorgenommen. Im vorliegenden Fall fehlen mithin Anhaltspunkte dafür, dass der mutmaßliche Wille des Verfassers des Testaments darauf gerichtet war, eine Schlusserbeneinsetzung vorzunehmen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Hamm ist verallgemeinerungsfähig, soweit eine testamentarischen Verfügung: „Nach dem Tod des Letztversterbenden soll die gesetzliche Erbfolge eintreten“ allein keine Schlusserbeneinsetzung beinhaltet. Es bedarf vielmehr weiterer konkreter Anhaltspunkte, die eine Auslegung zugunsten einer (Schluss-)Erbeinsetzung ermöglichen können.